Die Protestierenden würden von Presse und Staatsfernsehen dämonisiert. Viele von ihnen verlören ihren Studienplatz oder ihre Arbeitsstelle. Es sei wichtig, dass ihre Mitbürger sie unterstützen, betonte Tatarnikow und verwies auf Martin Niemöller. Als regimekritischer Pastor im „Dritten Reich“ hatte dieser es später bereut, sich nicht früher mit Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern solidarisiert zu haben. „Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte“, zitiert Tatarnikow Niemöller.
Er verglich die Situation auch mit der friedlichen Revolution in der DDR. Wie die meisten seiner Landsleute wolle er keinen gewaltsamen Umsturz, sondern friedliche Veränderungen. Diese seien ohnehin unvermeidlich, betonte Tatarnikow. „Das alte Belarus wird es nicht mehr geben. Etwas muss sich verändern.“ Sollte es auf eine Demokratie hinauslaufen, sei die Schaffung demokratischer Verhältnisse eine große Aufgabe. „Die Menschen hier sind nicht daran gewöhnt, Verantwortung für sich zu übernehmen.“ Belarus müsse von Deutschland lernen. Es habe zweimal vorgemacht, wie man nach totalitären Regimen die Zivilgesellschaft aufbaut.
Tatarnikow möchte nicht, dass die gesellschaftliche Polarisierung das Leben seiner Kirchengemeinde zerstört. Einige Mitglieder unterstützen Präsident Lukaschenko. Andere, vor allem junge Menschen, gingen zu den Demonstrationen und nähmen damit Schwierigkeiten in der Schule und am Arbeitsplatz in Kauf. Auch jetzt sei es die Aufgabe aller Christen, den Schwachen und den Verfolgten zu helfen. Seine Gemeinde solle ein Ort werden, wo die Menschen über die Zukunft des Landes sprechen können, ganz gleich wo sie politisch stehen, betonte der Pastor.
epd-Gespräch: Urs Mundt