Ob bei griechischen Ärzten wie Dioskurides (um 60 n. Chr) oder bei dem persischen Gelehrten Ibn Sina (Avicenna, 980-1037), ob in frühneuzeitlichen Kräuterbüchern oder der Medizinschule von Salerno – Myrrhe galt stets als Mittel gegen Entzündungen und Beschwerden des Verdauungstrakts und wird in der Phytotherapie heute bei entzündlichen Erkrankungen eingesetzt.
Medikamente mit Myrrhe werden beispielsweise bei Colitis ulcerosa (Darmentzündung) empfohlen, aber auch bei entzündeten Mundschleimhäuten. Und die Wissenschaft analysiert die Pflanze noch weiter, wie Niedenthal erklärt: „Weltweit läuft derzeit eine umfangreiche Forschung, bei der neben dem Harz auch andere Bestandteile des Myrrhenbaumes untersucht werden.“
Der Myrrhenbaum wächst in den Trockengebieten des nordöstlichen Kenias und östlichen Äthiopiens, in Dschibuti, in Somalia sowie auf der arabischen Halbinsel. Von dort importierten auch die alten Ägypter den entzündungshemmenden Myrrhengummi mit seinen Gerbstoffen. Ein Tempelrelief in der ägyptischen Nekropole Deir-el-Bahari bei Luxor verewigte den Transport von Myrrhensträuchern. Herodot, griechischer Historiker und weit gereister Geograf, beschrieb, wie die Ägypter die ausgespülten Leiber ihrer Toten mit „reiner zerriebener Myrrhe“ und Weihrauch füllten.
Auch die sumerische Medizin in Mesopotamien, dem heutigen Irak, nutzte die Myrrhe. Das geht aus einem Keilschriftdokument aus dem späten 3. Jahrtausend v. Chr. hervor. Die Tontafeln, die in Nippur (heute Niffur, 180 Kilometer südöstlich von Bagdad) gefunden wurden, gelten als das älteste Lehrbuch der Medizin: eine Rezeptsammlung ohne Götter und Magie, sondern mit Pharmaka wie Myrrhe.
In der Bibel kommt Myrrhe mehrfach vor. Ende des 11. Jahrhunderts vor Christus salbte der Prophet Samuel den ersten König der Israeliten, Saul. Zum traditionellen Salböl aus der gepressten Olive gehörten auch aromatische Balsamharze wie Myrrhe. Der Verfasser des Matthäus-Evangeliums setzte diese Tradition bewusst fort, als er die Geburt Christi aus dem Stamm der jüdischen Könige herleitete und die Weisen aus dem Morgenland einführte, Astrologen, die einem Stern im Westen folgten.
Matthäus leitet Jesus von Abraham über David ab und stellt ihn als König der Juden vor: als den „Gesalbten“, den „Messias“ (griechisch: Christós). Das hebräische Wort leitet sich aus dem aramäischen „mriro“ ab, das Bezug auf den bitteren Geschmack der Myrrhe nimmt. Noch heute ist die Myrrhe Bestandteil des „Chrisams“, des heiligen Salböls der katholischen und orthodoxen Kirchen.
Matthäus erinnert seine Leser auch an den Propheten Micha, der prophezeit hatte: „Und du, Bethlehem im Lande Juda, bist mitnichten die kleinste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.“ So passt am Ende alles zusammen mit Christi Geburt: Gold und Myrrhe der Könige, Weihrauch der Priester, Stammbaum und Geburtsort.
Im älteren Markus-Evangelium steht die Myrrhe schließlich auch für die Bitternis der Passion Christi: Auf Golgatha wird sie Jesus unmittelbar vor der Kreuzigung in Wein vermischt angeboten, aber er lehnt sie ab.
Von Claudia Schülke (epd)