Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland nimmt Stellung zur Bundestags-Debatte zum Umgang mit assistiertem Suizid
Der Deutsche Bundestag hat am heutigen Donnerstag über zwei Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidbeihilfe abgestimmt. Keiner der beiden vorliegenden Gesetzentwürfe hat eine Mehrheit gefunden. Zu der Bundestagsdebatte äußert sich die Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, wie folgt:
„Die Evangelische Kirche in Deutschland hat den parlamentarischen Prozess, der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2022 angestoßen wurde, intensiv und mit großem Respekt vor der Gewissensentscheidung der Abgeordneten des Deutschen Bundestags verfolgt. Aus christlicher Sicht ist jedes menschliche Leben von Gott gewollt und gehalten. Daraus leitet sich eine Verantwortung der Gemeinschaft ab, alles zu tun, um das Leben zu schützen und den Lebenswillen auch in schwierigen Situationen zu stärken“, so die Ratsvorsitzende.
„Gott hat jeden Menschen mit einer eigenen, unverlierbaren Würde ausgestattet. Zu dieser Würde im Leben gehört auch ein Sterben in Würde. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt: Solche Würde schließt das Recht ein, selbstbestimmt sterben zu können und sich dazu die notwendige medizinische Hilfe zu holen. Der selbstgewählte Tod muss allerdings eine Entscheidung in auswegloser Ausnahmesituation bleiben. Als Evangelische Kirche in Deutschland werden wir aktiv mit dafür sorgen, dass Menschen auch in schwerer Lage einen Sinn in ihrem Leben erkennen sowie unterstützende Gemeinschaft, liebevolle Fürsorge und professionelle Begleitung erfahren. Wir treten entschieden einer gesellschaftlichen Entwicklung entgegen, in der der Suizid zu einer regulären Form des Sterbens wird. Kein Mensch darf sich dem sozialen Druck ausgesetzt sehen, seinem Leben ein Ende bereiten zu müssen“, so Kurschus.
„Der Fokus von Staat und Gesellschaft muss daher auf einem konsequenten Ausbau der Suizidprävention, der Palliativmedizin und der Palliativpflege liegen. Die medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Berufe müssen entsprechend gestärkt werden, damit Menschen in Notlagen und existenziellen Grenzsituationen in jeder Hinsicht bestmöglich unterstützt werden können.
Heute hat sich der Deutsche Bundestag nicht für einen der vorgelegten Gesetzentwürfe entscheiden können. Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geht hervor, was wir auch aus theologisch-ethischer Sicht unterstreichen: Der Staat bejaht die Autonomie jedes einzelnen Menschen und ist dabei einem gesellschaftlichen Klima verpflichtet, das dem Leben dient. Wer mit einem Todeswunsch ringt oder wer zur Begleitung und Hilfe im Sterben angefragt ist, braucht Rechtssicherheit und einen verlässlichen Rahmen, der einer Suizidprävention den Vorrang einräumt. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Abgeordneten die Bundesregierung mit großer Mehrheit aufgefordert haben, nun zunächst die Suizidprävention zu stärken und ein entsprechendes Gesetz vorzulegen. Einer gesetzlichen Regelung der Suizidassistenz bedarf es nach unserer Auffassung gleichwohl weiterhin. Vielleicht liegt in der heutigen Nicht-Entscheidung eine Chance, im nächsten Jahr einen neuen Entwurf vorzulegen, der die Bedenken gegen die beiden aktuell vorliegenden Entwürfe ausräumt und die überzeugende Mehrheit erhält, die es für ein derart sensibles Thema braucht“, so die EKD-Ratsvorsitzende.
Im Vorwege der Bundestagsdebatte hatte sich der Rat der EKD mit einer Stellungnahme zum Umgang mit dem assistierten Suizid geäußert. Die Stellungnahme ist unter www.ekd.de/suizidbeihilfe abrufbar.
Hannover, 6. Juli 2023
Pressestelle der EKD
Carsten Splitt