Nach Gesprächen auf Kos und in Athen: Synoden-Delegation besorgt über Umgang mit Geflüchteten in EU-Aufnahmeeinrichtung
„Die aktuelle Abschottungs- und Abschreckungspolitik an der EU-Außengrenze in Griechenland führt zunehmend zu einer Beeinträchtigung der Menschenrechte von Geflüchteten. Die Missstände sind mit Händen zu greifen.“ Diese Bilanz zieht die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, nach einer viertägigen Delegations-Reise an die EU-Außengrenze in Griechenland. Anlass der Reise waren nicht zuletzt aktuelle Berichte über schwerste Menschenrechtsverletzungen in der Ägäis und der daraus resultierende Wunsch des Präsidiums mit allen Akteuren zu sprechen. „Als Christinnen und Christen ist es unsere Aufgabe, Menschlichkeit und das Wissen darum, dass alle Menschen vor Gott gleich sind, immer wieder an erste Stelle zu setzen und davon auch nicht abzurücken“, so Heinrich.
Vor der bedrückenden Realität könne man aber nicht die Augen verschließen: „Die von der Europäischen Union errichtete geschlossene Aufnahmeeinrichtung für Geflüchtete CCAC (Closed Controlled Access Center) auf Kos schafft für die Asylsuchenden gefängnisartige Bedingungen, deren Regeln wenig transparent sind“, so Heinrich. In Gesprächen mit der griechischen Asylbehörde, der Leitung des CCAC in Kos sowie mit Vertreter:innen der deutschen Botschaft in Athen habe sich ein Gesamtbild ergeben, das maßgeblich von einer Verantwortungsdiffusion geprägt sei, die fatale Folgen habe, so Heinrich. „Jeder blickt aus der eigenen Perspektive auf seinen Bereich, aber kaum einer auf das Wohl der Geflüchteten. Wie sonst ist es zu erklären, dass es in einem für 2500 Menschen errichteten Camp bei brütender Hitze nicht einmal Sonnensegel gibt, geschweige denn ärztliches Personal für die eigens errichtete Krankenstation.“
Verstörend sei auf Kos aber auch das harte Nebeneinander von touristischer Hauptsaison und menschlichem Leid gewesen. „Es ist für mich ein Ausdruck dessen, was insgesamt in Europa der Fall ist: Die Not der Geflüchteten wird systematisch unsichtbar gemacht und technokratisch wegorganisiert. Dort wo sie augenscheinlich ist, schauen wir als Gesellschaft nicht konsequent hin“, so Präses Heinrich.
Für Präsidiumsmitglied Uwe Becker diente die Reise dazu, „eine reale Anschauung zu gewinnen, von dem was wir ahnen. Und was ich geahnt habe, gerinnt hier zu einer erschreckenden Gewissheit: Menschen werden sinnlos kaserniert, monatelang im Asylverfahren gehalten und letztendlich zur Reise in den Norden entlassen. Die unnötige und kostenintensive Produktion von Sinnlosigkeit und Depression zeigt die Absurdität des europäischen flüchtlingspolitischen Systems“, so Becker, der Präsident der Evangelischen Hochschule Darmstadt ist.
„Besonders das Schicksal der Kinder im Lager berührt mich“, ergänzt Gabriele Hoerschelmann, Direktorin des bayerischen Partnerschafts- und Entwicklungszentrums „Mission EineWelt“. „Schon am Strand fanden wir Kinderkleidung in unmittelbarer Nähe der zerrissenen Schlauchboote. Im Lager selbst gibt es für die Kinder nichts, was ihre Situation etwas verbessern könnte“, so das Präsidiumsmitglied. Das Lager auf Kos, das in Gluthitze in der Mitte der Insel liegt, habe sie als ein „in Beton gegossenes Monument der Abschreckung empfunden“. Die Einrichtung solle die Botschaft vermitteln, „wir haben die Migration im Griff”.
Hoffnung machte den Teilnehmenden das Engagement von Hilfsorganisationen und -projekten auf Kos und in Athen. In Gesprächen mit dem UNHCR und zahlreichen Initiativen, wie etwa Kostenlos-Läden und Rechtsberatung für Geflüchtete sei die Notlage der Geflüchteten zwar noch deutlicher geworden. „Wir haben aber auch gesehen, dass selbst kleine Verbesserungen für Geflüchtete eine große Hilfe sein können“, so Heinrich.
Ermöglicht und vorbereitet wurden die Gespräche von der deutsch-griechischen Organisation „Equal Rights Beyond Borders“, die Geflüchteten bei Anerkennungs- und Rechtsverfahren kostenlos juristisch zur Seite stehen.
Im November wird die Synode der EKD über das Schwerpunktthema „Migration, Flucht und Menschenrechte“ beraten. Ein zentraler Aspekt der synodalen Befassung wird die zunehmende Normalisierung von Gewalt und Rechtlosigkeit an den EU-Außengrenzen sein.
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Hannover, 5. Juli 2024
Pressestelle der EKD
Carsten Splitt