epd: Der erste Kirchentag fand nur vier Jahre nach der Zeit des Nationalsozialismus statt. Wie hat sich das widergespiegelt?
Badenhop: Die Diskussionen und Gespräche darüber, wie man mit der Vergangenheit umgehen sollte, begannen in jener Zeit ja erst. Auch mit der kirchlichen Vergangenheit, in der sich die evangelische Kirche ja nicht mit Ruhm bekleckert hatte. Wichtig und für uns auch unerwartet war, dass die ökumenische Bewegung mit ihrem Generalsekretär Willem Visser’t Hooft (1900-1985) wieder Beziehungen zur evangelischen Kirche in Deutschland aufgenommen hatte. Dass unsere Kirche mit einem Mal wieder einfach Kirche sein konnte, unabhängig von geschichtlichen Fehlern und Traditionen – eigentlich war das unverdient.
Bei der „Evangelischen Woche“ begann zudem wieder das Gespräch der Christen mit den Juden. Das waren zuerst noch zaghafte, informelle Gruppen, die aus persönlichem Interesse und aus der Nähe zu den wenigen Überlebenden anfingen, das Gespräch zu suchen. Daraus ist später die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit geworden. Der Kirchentag war ursächlich beteiligt am Entstehen eines neuen Verhältnisses zu religiösen, aber auch säkularen Juden.
Neu war, dass die Begründer des Kirchentags die Kirche im Wesentlichen auf die Mitglieder gründen wollten, also die Laien. Bis dahin waren wir ja in vielem eine Pastorenkirche gewesen. Der Kirchentagspräsident Reinold von Thadden-Trieglaff (1891-1976) trieb das bewundernswert voran. Im Blick auf die Macht wollte er den Unterschied von Laien und Pastoren in der Kirche nicht gelten lassen. Das haben wir dann später bei uns in der Synode mit der „Gruppe Offene Kirche“ fortgesetzt, die ich mitgegründet habe.
epd: Welche konkreten Bilder haben Sie vom ersten Kirchentag 1949 noch vor Augen?
Badenhop: Für mich persönlich, und das ist für mich wirklich zentral, markiert der Kirchentag 1949 vor allem meinen von da an täglichen und damit neuen Umgang mit der Bibel. Und natürlich die Musik: All das gemeinsame Singen und die Lieder, das kam mit dem Kirchentag erst richtig in Gang.
Auch die Bilder von prominenten Protestanten: Der Schriftsteller Rudolf Alexander Schröder (1878-1962) stand mit Bischof Lilje und Kirchentagspräsident von Thadden-Trieglaff zusammen, die waren sozusagen die Steuermannschaft des Kirchentages.
Oder einen Vortrag von Visser’t Hooft, ein berühmter Name damals, ein großer Ökumeniker aus den Niederlanden. Die Halle war voll, die Sonne schien, es war warm, zu warm, und Visser’t Hooft hatte eine etwas eintönige Sprachmelodie, so dass wir alle am Einnicken waren. Dann kam Bischof Lilje an die Reihe. Er erklomm das Podium und sagte: Der Apostel Paulus musste einmal bei einer längeren Rede erleben, dass jemand von der Fensterbank fiel. Damit das hier nicht passiert, wollen wir jetzt alle aufstehen und ein fröhliches Lied singen. Großes Gelächter. So hatte er die Sache im Griff. Das war typisch für Lilje. Er war ein hervorragender Prediger und konnte sich auf Menschen einstellen. Das kam ihm beim Kirchentag natürlich besonders zugute.