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15.10.2025 „Erkenne ich die Zeichen der Zeit, wenn gegen Menschen gehetzt und gegen Menschengruppen Vorurteile geschürt werden?“

80 Jahre Stuttgarter Erklärung – Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl predigt in Gedenkgottesdienst am 19. Oktober

Stuttgart. Am 19. Oktober jährt sich die Stuttgarter Erklärung (auch Stuttgarter Schulderklärung genannt) zum 80. Mal. Dies war das erste Eingeständnis der neu gegründeten Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), im Dritten Reich versagt zu haben.  

Die Stuttgarter Schulderklärung war „das Eingeständnis einer historischen Schuld und eines beispiellosen Versagens der Christen und der Evangelischen Kirche in Deutschland an diesem Verbrechen“, so Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl in seiner Predigt im Gedenkgottesdienst zum 80. Jahrestag der Stuttgarter Schulderklärung am 19. Oktober in der Stuttgarter Markuskirche. Diese Schuld habe darin bestanden, „‘nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben‘“, zitiert Gohl aus dem Text der Erklärung. Der Anstoß zu dieser Erklärung, so Gohl, sei von Vertretern der internationalen Ökumene gekommen, die zu dieser Zeit in Stuttgart die erste Versammlung des Rats der neu gegründeten EKD begleiteten. 

Ernst-Wilhelm Gohl predigt in der Markuskirche über Jeremia 14,7-9 – über denselben Text hatte 1945 am Vorabend der ersten EKD-Ratstagung in der Markuskirche auch Martin Niemöller gepredigt, einer der führenden Vertreter der Bekennenden Kirche und späterer Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Niemöller gehörte mit Hans Asmussen und Otto Dibelius zu den Verfassern der Erklärung. Der damalige württembergische Landesbischof Theophil Wurm unterzeichnete die Erklärung gemeinsam mit den Autoren und sieben weiteren Kirchenvertretern.

Dieser Text aus dem Buch Jeremia enthält „ein kollektives Schuldeingeständnis“ gegenüber Gott, so Gohl in seiner Predigt: ‚Unser Ungehorsam ist groß, womit wir wider dich gesündigt haben‘. Dass Niemöller sie „in einer historisch ganz besonderen Situation der Schuld Deutschlands und seiner Kirchen für den millionenhaften Tod von unschuldigen Menschen als Predigttext auswählt, mache deutlich: Schuld geschieht zwischen Menschen und Menschen – und Schuld geschieht zwischen Menschen und Gott.“

Auch den „blinden Fleck des Dokuments“ spricht Gohl an: „Was fehlt, ist die ausdrückliche Erwähnung der Schuld gegenüber den Jüdinnen und Juden in Deutschland und an unzähligen Orten dieser Welt. Denn die evangelische Kirche trägt eine Mitschuld an dem Grauen von Ausschwitz, an den sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden.“ Die Aufarbeitung dieser Mitschuld, des christlichen Antisemitismus und des Holocaust habe erst fünf Jahre später bei der EKD-Synode in Berlin-Weißensee begonnen.  

Mit Blick auf die gegenwärtige Situation in Deutschland und der Welt folgert Gohl, vielleicht sei „das der stärkste Impuls für heutige Christen […] rechtzeitig die Zeichen der Zeit zu erkennen und mutig für die Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzutreten. Erkenne ich die Zeichen der Zeit, wenn gegen Menschen gehetzt und gegen ganze Menschengruppen und Minderheiten Vorurteile geschürt werden? Widerspreche ich deutlich genug dem Antisemitismus, der sich nach dem 7. Oktober 2023 und dem Gaza-Krieg in erschreckender Weise Bahn gebrochen hat – nicht nur in Berlin, sondern auch bei uns in Stuttgart?“

Der Gedenkgottesdienst beginnt am Sonntag, 19. Oktober, um 10:00 Uhr in der Markuskirche in Stuttgart (Filderstraße 22, 70180 Stuttgart). Im Anschluss an den Gottesdienst findet ein Empfang in den Räumen der Kirche statt.

Dan Peter
Sprecher der Landeskirche

HINWEIS: Bilder von Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl finden Sie im Pressebereich unserer Website. Den Wortlaut der Stuttgarter Erklärung finden Sie hier und ein Foto des historischen Typoskripts hier.