Bremen/Hannover (epd). Wo andere möglichst zu Hause bleiben sollen, sind sie tagtäglich unterwegs: Als „systemrelevante Berufsgruppe“ können es sich ambulante Pflegekräfte in der Corona-Krise gar nicht leisten, ihre Arbeit zurückzufahren. „Wir haben meist ältere Kunden, die auf unsere Versorgung oft existenziell angewiesen sind“, sagt der Leiter der ambulanten Pflege im Bremer Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), Stefan Block. Dienste wie der ASB kämpfen nun aufgrund der Corona-Krise in einem ohnehin gestressten System mit neuen Herausforderungen. Und weiteren Engpässen.
Schon lange muss die Altenpflege mit einer Personaldecke leben, die auf Kante genäht ist. Träger haben die Lage in den zurückliegenden Jahren mit Aktionen wie der Bremer Initiative „Pflege am Limit“ verdeutlicht. Personalmangel herrscht in vielen der bundesweit rund 14.000 Pflegediensten, die jetzt zusätzlich an Notfall- und Pandemieplänen feilen müssen. „Außerdem sagen bei uns Kunden ab, weil sie Angst vor einer Corona-Ansteckung durch unsere Pflegerin haben“, beschreibt Geschäftsführer Block die Situation in seinem Betrieb. Nachfragen bei anderen Diensten zeigen: Das sind keine Einzelfälle.
„Wenn Kunden auf sich alleine gestellt sind, mag das in bestimmten Fälle kurze Zeit funktionieren“, sagt Block. Das treffe beispielsweise für Hilfen etwa beim Duschen zu. Über längere Zeit könne das eine Gefährdung bedeuten. Und natürlich steige bei den Diensten der organisatorische Aufwand, während Einnahmen ausfielen und Kurzarbeitergeld schwierig zu beantragen sei. „Touren müssen neu geplant werden, das schwankt täglich und macht große Probleme“, erläutert der ASB-Experte.
Was aber passiert, wenn Pflegekräfte selbst vom Coronavirus infiziert werden und in Quarantäne müssen? In diesem Zusammenhang entstehen Listen, die aufführen, welche Kunden vorrangig versorgt werden sollen. Bei dieser sogenannten Triage geht es um Fragen, die sorgfältig bedacht werden müssen: Welche Kunden können sich notfalls selbst versorgen? Wer kann eine zeitlang von Angehörigen versorgt werden, wer braucht eingeschränkt Unterstützung, wer ist ohne Pflegedienst hilflos? „Das ist gar nicht so einfach bei täglich 350 Kunden und knapp 160 Beschäftigen in vier Stationen“, verdeutlicht Block.
Ein Blick zu anderen Anbietern wie der Bremer Zentrale für Private Fürsorge mit nach eigenen Angaben etwa 700 Pflegekunden und rund 200 Beschäftigten bestätigt das Ausmaß der Herausforderung. Trotzdem seien alle noch „relativ gelassen“, sagt Klaus Vosteen, stellvertretender Geschäftsführer der Zentrale. Er schätzt überdies das Infektionsrisiko der Pflegekräfte untereinander gering ein: „Übergaben machen wir am Telefon, Dienstbesprechungen sind abgesagt. Ansonsten ist das Pflegepersonal ja meist alleine unterwegs.“
„Wir haben noch keine Pflegekräfte in Quarantäne“, berichtet Block, befürchtet aber ernsthafte Probleme, falls es demnächst doch passieren sollte. „Das ist schwer zu kompensieren.“ Wenn eine Pflegekraft ausfalle, seien gleich etliche Patienten unversorgt.
Falls Mitarbeiterinnen infiziert werden und Engpässe in den Einsatzplänen entstehen, könnten sie bei entsprechender Qualifikation auch durch Personal aus anderen Bereichen wie der Tagespflege ersetzt werden. „Das prüfen wir gerade“, sagt Oliver Bruse in Hannover, Sprecher der Johanniter im Landesverband Niedersachsen-Bremen. Darüber hinaus verweist er auf Konzepte und Handreichungen, die regeln, worauf in Zeiten erhöhter Ansteckungsgefahr zu achten ist, welche besonderen Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen gelten und in welchen Fällen die Gesundheitsbehörden zu verständigen sind.
Pläne, die auch Stefan Block auf dem Tisch hat und die täglich angepasst werden. „Das schluckt Arbeit“, sagt er und blickt mit Sorge auf den nun anstehenden Quartalswechsel, wenn viele Verordnungen etwa für Medikamente, Kompressionsstrümpfe und Injektionen erneuert werden müssen. „Das bedeutete bisher eine ganze Reihe von Personenkontakten und forderte Zeit bei Pflegediensten, Ärzten und Kassen.“ Er wünscht sich, dass diese Arbeit in der Krise online und per Listen erledigt werden kann, damit durch Bürokratie nicht unnötig Ressourcen für die häusliche Versorgung blockiert werden.
„Im Moment sind pragmatische Lösungen gefragt, tagtäglich“, sagt der ASB-Chef, der aber auch an vielen Stellen die Bereitschaft spürt, neue Wege zu gehen. Ein echtes Problem sei allerdings der Mangel an Schutzausrüstung auf dem Markt. Desinfektionsmittel und Mundschutz seien vielerorts zu einem knappen Gut geworden. „Wir haben ein großes Versorgungsproblem“, bestätigt Klaus Vosteen von der Zentrale für Private Fürsorge. Und Block sagt: „Wir rationieren schon. Wir brauchen ein zentrales Lager für Schutzkleidung, auf das wir zugreifen können.“
Dieter Sell (epd)