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Was können wir von Dietrich Bonhoeffer lernen? – EKD


Er motivierte andere, sich damit zu beschäftigen. Er selbst bearbeitete sie, solange er sich noch frei be­wegen konnte, in einem Manuskript, das grundlegenden Fragen der Ethik gewidmet war. Er schärfte vor allem die Verantwortung für fremdes wie für das eigene Leben ein. Lebte er in ­unserer Zeit, würde er auch den nachhaltigen Umgang mit der Natur hervorheben und darauf drängen, dass wir durch unsere Lebensge­staltung nicht den Lebensraum derer zer­stören, die nach uns kommen. Der Klimawandel ist eine Herausforderung, auf die man Bonhoeffers Einsichten praktisch anwenden kann.

Hoffnung auf Erneuerung des Glaubens und der Kirche

Ebenso wichtig war ihm die ­Frage nach der künftigen Gestalt der ­Kirche. Sie bedrängte ihn besonders in der Einsamkeit der Gefängnis­zelle. Die Kirche verfehlte nach seiner Überzeugung ihren Auftrag, ­solange sie nur um sich selbst kreiste und in der Selbstverteidigung befangen blieb. Es kam darauf an, ein Wagnis für andere einzugehen. Vor allem das Schicksal von Jüdinnen und Juden stand Bonhoeffer bei einer solchen Forderung vor Augen. Der Glaube konnte nicht länger auf die fromme Innerlichkeit beschränkt bleiben oder auf das Weltbild vergangener Zeiten gestützt werden. Bonhoeffer verstand den Glauben als eine Haltung, die das Leben bestimmt. Eine solche Erneuerung des Glaubens und der Kirche gehörte zu den großen Hoffnungen, die zeit seines Lebens uneingelöst blieben.

Diese Hoffnung kann uns heute beflügeln. Sie begründet das Ein­treten für nachhaltige Entwicklung, für die Überwindung von Armut und die Bekämpfung des Hungers in der Welt. Eine „Kirche für andere“ in Bonhoeffers Sinn steht auf der Seite von Menschen, die in ihrer Freiheit bedroht sind und um Leib und ­Leben fürchten müssen. Sie wendet sich ­denen zu, die vereinsamen und Angst vor der Zukunft haben. Sie hilft ­Menschen, zuversichtlich zu leben und getröstet zu sterben.

Bonhoeffers Leben blieb Fragment. Doch es ist erstaunlich, wie viel in diesem Leben Raum hatte. Die Leidenschaft für die Musik, die Lust am Spiel, die Kunst der Freundschaft und die Sehnsucht nach Liebe gehörten genauso dazu wie das Wirken für Kirche und Theologie, für die Ermutigung junger Menschen und für die Ausbildung künftiger Pfarrer.

Den Opfern beistehen

Der Politik so viel Platz in seinem kurzen Leben einzuräumen, hatte er nicht geplant. Es waren die Umstände der Zeit, die dazu nötigten. Er wollte den Staat an seine Aufgabe erinnern, für ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit zu sorgen. Er erkannte die ­Notwendigkeit, den Opfern unter dem Rad von Unfrieden und Ungerechtigkeit beizustehen. Er erlebte, dass es in bestimmten Situationen nicht reicht, die Opfer unter dem Rad zu verbinden. Dann gilt es, dem Rad selbst in die Speichen zu greifen.

Wir leben in anderen Zeiten. Doch Bonhoeffers Vorbild kann uns helfen, die Zeichen unserer Zeit wahr­zunehmen, bevor es zu spät ist: Wenn die demokratischen Institu­tionen der Lächerlichkeit preisge­geben werden, ist Widerstand angesagt, nicht ­Kumpanei. Wenn die Möglichkeiten einer freien Gesellschaft genutzt werden, um gegen Minderheiten ­Stimmung zu machen, ist Parteinahme nötig, nicht Gleichgültigkeit. Wenn Antisemitismus um sich greift, gilt auch heute Bonhoeffers berühmter Satz: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“

Wolfgang Huber (für chrismon)


Wolfgang Huber ist Professor für ­Theologie in Berlin, Heidelberg und ­Stellenbosch (­Südafrika). Er war  Vorsitzender des ­Rates der EKD­ und Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-­Brandenburg-schlesische Ober­lausitz sowie Mitglied im Deutschen ­Ethikrat. Als Theologe setzt er sich vor allem mit ethischen Fragen auseinander. 2019 erschien von ihm das Porträt „­Dietrich Bonhoeffer. Auf dem Weg zur Freiheit“ (C.H. Beck).

Dieser Beitrag erschien zuerst im chrismon-Heft April 2020 und auf chrismon.de.