Wie soll ein Christ in der Welt leben? Wie kann er seinem Gewissen folgen und verantwortlich Entscheidungen treffen? Solche Fragen stellte sich Dietrich Bonhoeffer in einer Zeit, in der es besonders schwer war, aufrichtig und geradlinig zu bleiben. Der Pastor sah, wie die Nazis immer schlimmer gegen Juden vorgingen – und konnte dazu nicht schweigen. Glaube, Theologie und Leben gehörten für Bonhoeffer untrennbar zusammen, er schrieb einmal, „dass eine Erkenntnis nicht getrennt werden kann von der Existenz, in der sie gewonnen ist“. Sein konsequenter Weg führte ihn in den Widerstand gegen Hitler und schließlich in den Tod.
Christ sein kann man nach Bonhoeffers Überzeugung nur in der „Gemeinschaft der Glaubenden“. Doch was ist die Aufgabe der Kirche mitten in der Welt? „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“, lautet eine weitere von Bonhoeffers einprägsamen Formulierungen. So, wie Jesus „der Mensch für andere“ war, muss die Gemeinschaft der Glaubenden für ihre Mitmenschen eintreten. Das bedeutet auch, dass sie an deren Leiden teilnimmt.
Berufswunsch: Pfarrer
Geboren wurde Dietrich Bonhoeffer als sechstes von acht Kindern der Eheleute Karl und Paula Bonhoeffer. Sein Vater war Professor für Neurologie und Psychiatrie in Berlin, seine Mutter ausgebildete Lehrerin. Im Hause Bonhoeffer hielten alle zusammen, und die Kinder lernten, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Lesen und Lernen waren selbstverständlich, außerdem erhielt jedes Kind Musikunterricht – Dietrich spielte sehr gut Klavier.
Die Kinder wurden von ihrer Mutter christlich, aber nicht im engeren Sinne kirchlich erzogen. Der Vater war humanistisch geprägt und stand Dietrichs Berufswunsch skeptisch gegenüber: Sein Sohn wollte Pfarrer werden.
Zeichen der Zeit erkennen
Er muss ein sehr nachdenklicher und fleißiger, begabter und selbstbewusster Mensch gewesen sein: Schon mit 25 Jahren hatte Dietrich Bonhoeffer seine Promotion und Habilitation abgeschlossen, ein Auslandsvikariat in Barcelona und ein Studienjahr in New York absolviert sowie beide theologischen Examen abgelegt. 1931 wurde er ordiniert, arbeitete als Studentenpfarrer und lehrte an der Berliner Universität.
Oft erkannte Dietrich Bonhoeffer die Zeichen der Zeit früher als andere. Fast prophetisch wirkte ein Radiovortrag, den er – zufällig – zwei Tage nach Adolf Hitlers Machtergreifung hielt: Darin warnte der junge Theologe, aus einem „Führer“ könne ein „Verführer“ werden. Doch die Zuhörer bekamen das Ende nicht mit, denn die Übertragung wurde abgebrochen, weil der Text zu lang war. Bonhoeffer ärgerte sich und schickte Kopien seiner Rede an Freunde und Verwandte. Er wollte gehört werden – nicht um seiner selbst willen, sondern weil er etwas zu sagen hatte.
Nicht immer waren seine Zuhörer derselben Meinung wie er. Im April 1933 hielt Bonhoeffer vor einer Runde von Pfarrern den Vortrag „Die Kirche vor der Judenfrage“. Darin ging es um das Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Bonhoeffer fand es falsch, Christen mit jüdischem Hintergrund zu diskriminieren und aus der Kirche auszuschließen. Er meinte, die Kirche müsse den Staat kritisch fragen, ob dieser sein Handeln verantworten könne. Aus diesem Vortrag stammt Bonhoeffers vielleicht berühmteste Formulierung: Die letzte Möglichkeit, die die Kirche habe, sei, „dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“.
Diese Forderung ging einigen Pfarrerkollegen zu weit. Die Kirche war gespalten: Während die Glaubensbewegung Deutsche Christen der NSDAP folgte, sahen sich Bonhoeffer und andere zum Widerstand heraus- gefordert. Konkretes Handeln war nötig, als ab 1933 Pfarrer jüdischer Abstammung durch den „Arierparagraphen“ in ihrer beruflichen Existenz bedroht waren.
Um sie zu unterstützen, gründete Bonhoeffer zusammen mit Martin Niemöller und weiteren Mitstreitern den Pfarrernotbund, aus dem wenig später die Bekennende Kirche hervorging. An deren Gründungssynode 1934 in Wuppertal-Barmen nahm Bonhoeffer allerdings nicht teil, weil er sich für eine Pfarrstelle in London entschieden hatte. Er wollte Abstand vom Kirchenkampf gewinnen und sich in normaler Gemeindearbeit üben. Ein Pfarramt in Berlin hatte er abgelehnt, denn für die preußische Kirche, die den „Arierparagraphen“ eingeführt hatte, wollte er nicht arbeiten.
Kein Pazifist aus Prinzip
Bonhoeffer begann, sich international zu vernetzen und nahm 1934 an einer ökumenischen Konferenz im dänischen Fanö teil. Dort hielt er eine Rede über die Aufgabe der weltweiten Kirche bei drohendem Krieg: Frieden, sagte Bonhoeffer, sei heute ein Gebot Gottes, Aufrüstung sei der falsche Weg. „Brüder … können nicht die Waffen gegeneinander richten, weil sie wissen, dass sie damit die Waffen auf Christus selbst richteten.“
War Dietrich Bonhoeffer Pazifist? In den dreißiger Jahren fanden es auch Pfarrer völlig normal, ihr Vaterland mit der Waffe zu verteidigen, und Bonhoeffer respektierte das. Seiner eigenen Einberufung entzog er sich allerdings später, indem er nach Amerika auswich. Doch er war kein Pazifist aus Prinzip: Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs war Bonhoeffer bereit, einen gewaltsamen Putsch gegen Hitler zu unterstützen.
Doch zunächst wurde Bonhoeffer gebeten, nach Deutschland zurückzukehren, um die Ausbildung des Pfarrernachwuchses der Bekennenden Kirche zu übernehmen. Das geschah ab 1935 im Predigerseminar in Zingst und Finkenwalde und – nach der Schließung durch die Gestapo 1937 – in illegalen „Sammelvikariaten“. Bonhoeffer wollte die Vikare nicht nur akademisch schulen. Wichtiger war ihm, dass sie lernten, aus einer echten inneren Christusverbindung heraus zu leben. Gebet, Bibellesen und Singen standen ganz oben auf dem Lehrplan. Bonhoeffer wohnte mit den Vikaren in einer klösterlichen Bruderschaft zusammen und schrieb darüber das Buch „Gemeinsames Leben“ (1939).
Während dieser Zeit beschäftigte sich Bonhoeffer intensiv mit der Bergpredigt. Er wollte die Worte Jesu ernst nehmen und danach leben. „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt“, schrieb er in seinem Buch „Nachfolge“ (1937). Es ging ihm um die Frage, was es wirklich bedeutet, Christus nachzufolgen – und zwar in der konkreten Situation des Kirchenkampfes. In dem Buch ist von der „billigen“ und „teuren Gnade“ die Rede. Bonhoeffer formulierte: „Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, … Gnade ohne Preis, ohne Kosten …, Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz … .“ Ein Christ solle nicht einfach von Gottes Liebe und Vergebung ausgehen und sich darauf ausruhen, sondern ernsthaft versuchen, Gottes Willen für sich zu erkennen, und danach handeln.
Durch seinen Schwager Hans von Dohnanyi war Bonhoeffer schon früh in Umsturzpläne gegen Hitler eingeweiht. Die Entscheidung, dabei aktiv mitzuwirken, fiel ihm nicht leicht, denn er würde seine Mitmenschen täuschen müssen. Doch angesichts der Judenverfolgung durch das Naziregime hielt Bonhoeffer es für konsequent, den Schritt vom Bekenntnis zum Widerstand zu gehen. Offiziell wurde er, getarnt als Pastor, Mitarbeiter des militärischen Geheimdienstes. Doch seine eigentliche Aufgabe bestand darin, bei Auslandsreisen heimlich über den geplanten Putsch zu informieren und das Ausland von einer Vernichtung Deutschlands abzuhalten.
Seine Gedanken über das richtige Tun und Lassen verarbeitete Bonhoeffer in Texten, aus denen 1949 das Buch „Ethik“ zusammengestellt wurde. Darin appelliert er an die „Freiheit des Verantwortlichen“. Indirekt ist offenbar vom Tyrannenmord an Hitler die Rede, wenn Bonhoeffer schreibt, es gebe die „außerordentliche Situation“, in der man gerade dadurch verantwortlich handelt, dass man Gesetze bricht: „So oder so wird der Mensch schuldig und so oder so kann er allein von der göttlichen Gnade und der Vergebung leben.“
Starkes Gottvertrauen
Am 5. April 1943 wurde Bonhoeffer verhaftet und kam ins Gefängnis Berlin-Tegel. Weil die Verschwörungspläne gegen Hitler noch nicht aufgeflogen waren, entschied er sich, in den Verhören zu lügen. „Wahrheit“ bedeutet für Bonhoeffer nicht unbedingt, dass der Inhalt der Worte den Tatsachen entsprechen muss, sondern kann auch heißen, ein Geheimnis zu wahren. Man müsse die konkrete Situation beachten und für das eigene Reden Verantwortung übernehmen: „Jedes Wort soll seinen Ort haben und behalten.“ Solche und andere theologische und persönliche Gedanken formulierte Bonhoeffer in Briefen aus dem Gefängnis an seine Eltern, seinen Freund Eberhard Bethge und seine Verlobte Maria von Wedemeyer. Veröffentlicht wurden die Briefe später in den Bänden „Widerstand und Ergebung“ (1951) und „Brautbriefe Zelle 92“ (1992).
Einer seiner letzten Texte aus dem Gefängnis war ein Gedicht, das Bonhoeffer seiner Verlobten zu Weihnachten 1944 schickte und das von seinem starken Gottvertrauen zeugt: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Als aufrichtiger Mensch und verantwortungsbewusster Christ ging er seinen Weg der Nachfolge bis zum Ende: Am 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg gehängt.
Anne Kampf (für evangelisch.de)
Dieser Text erschien zuerst in „Überzeugend evangelisch. Vorbilder fürs Leben“ von Frank Muchlinsky in der edition chrismon. Das Buch zum Protestant-O-Mat enthält Lebensgeschichten von 16 evangelischen Persönlichkeiten.