Es war genau an dem Tag im Frühling, als es doch noch einmal schneite. „Scha-atz, Handy“, rief seine Frau aus der Küche. Der Blick aufs Display verriet: Charlotte. Schwester Charlotte. Die rührende Pflegerin im Heim seiner Mutter. Seit zwei Wochen waren die Türen dicht. Besuchsverbot. So hatte sich seine Mutter ihre letzte Lebensphase wohl nicht vorgestellt. Auch er hatte sich das alles anders vorgestellt. Nicht bei ihr sein zu können, gerade jetzt, wo sie immer schwächer wurde, zerriss ihm fast das Herz.
Aber zum Glück war da Charlotte. Jeden Tag um kurz nach drei klingelte sein Telefon. Charlotte hielt ihr Handy an das Ohr seiner Mutter und sie waren sich für ein paar Minuten nah. „Haste genug Kartoffeln im Haus?“, fragte sie ihn jeden Tag, warum wusste er nicht. „Ja, Mutti, ich hab‘ genug Kartoffeln im Haus“, antwortete er immer.
An diesem Tag klingelte das Telefon schon um kurz nach zwei. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn. „Hallo Mutti“, sagte er etwas zögerlich. Charlottes Stimme anderen Ende der Leitung klang zittrig: „Sie ist eingeschlafen. Sie ist einfach aus dem Mittagsschlaf nicht mehr aufgewacht.“ Stille. Nach einer kleinen Weile und einer gefühlten Ewigkeit sagte die Pflegerin: „Ich lege jetzt kurz auf und rufe Sie per Video an. Dann können Sie sie noch einmal sehen…“
Wie gern hätte er noch einmal über ihren Arm gestreichelt. Wie gern hätte er ihr einen letzten Kuss auf die Stirn gegeben. Ob ihr Körper noch warm war? Ruhig sah sie aus. Friedlich. In drei Wochen wäre sie 93 Jahre alt geworden. Charlotte hatte liebevoll ihre Hände gefaltet, und darunter eine rote Gerbera gesteckt. Wenigstens hatte er sie noch einmal gesehen.
Es war an dem Tag, als es doch noch einmal schneite. Wirklich Zeit für Frühling.
Anne Pappert