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„Irgendwann ist die eigene Frustrationsgrenze erreicht“ – EKD


Wo sehen Sie Gründe für diese Entwicklung?

Köster: Das ist schwer zu beantworten, vielleicht muss man da eher einen Soziologen fragen. Aber generell glaube ich, dass sich unsere Gesellschaft ändert. Ich sehe, dass mit zunehmendem Individualismus und dem Fokus auf eigene Interessen häufiger ein gesellschaftlicher Konsens infrage gestellt wird. Dann gibt es aktuell Menschen, die auf die Einschränkung ihrer persönlichen Freiheitsrechte aufgrund der Corona-Krise sehr emotional reagieren. Offensichtlich gelingt oftmals nicht mehr der gedankliche Transfer, dass es nicht etwa der Polizist, die Polizistin ist, die etwas Böses von mir will, sondern dass die Einsatzkräfte staatliche Gesetze und Anordnungen durchsetzen. Das ist ja nicht ihr Privatinteresse. Und dass Polizisten das Gewaltmonopol haben, das können offenbar immer weniger Menschen akzeptieren.

Was treibt Ihrer Beobachtung nach Polizisten an, einen Dienst zu tun, der ja mit Gefahren und Konflikten belastet ist?

Köster: Sicher spielt die Sicherheit als Beamter eine Rolle. Aber Geld ist nicht das entscheidende Argument, denn wenn ich wirklich viel verdienen will, dann werde ich nicht Polizist. Ich glaube, eine starke Motivation ist die Vorstellung, ich will Menschen helfen, ich will mit Menschen arbeiten. Platt gesagt wollen Polizisten versuchen, das Gute stark zu machen in dieser Gesellschaft. Da gehen junge Menschen meist aus dem bürgerlichen Milieu mit relativ wenig eigener Gewalterfahrung in das Studium für den Polizeivollzugsdienst, mit einem hohen ethischen Anspruch: Ich will dafür sorgen, dass es in diesem Gemeinwesen läuft. Dass die Realität oftmals anders ist, dass Einsatzkräfte erkennen, wir können weder die Welt retten noch alle Probleme der Gesellschaft lösen, das gehört dann zum Praxisschock. Als Problemlöser eignet sich die Polizei eben wenig, auch wenn die Beamten ständig an die Orte kommen, an denen diese Probleme aufbrechen. Dann zu erkennen, ich kann hier zwar für Ruhe, meinetwegen auch für Ordnung sorgen, aber ich werde die Ursachen der Probleme nicht bekämpfen können – das ist für viele sehr frustrierend, ja.

Heizen Gewalterfahrungen diesen Frust noch an?

Köster: Angriffe wie in Göttingen, Stuttgart oder beim G-20-Gipfel in Hamburg, das wirkt auf jeden Fall hoch emotional, das verunsichert oder verhärtet: Wenn mir mit Gewalt begegnet wird, werde ich selber auch eher mit Gewalt reagieren. Deshalb ist es wichtig, dass die Einsatzkräfte berufsbegleitend unterstützt werden, um mit solchen Erfahrungen umgehen zu können, etwa durch Gespräche mit Seelsorgern und Psychologen oder durch Supervision. Insgesamt gibt es das vielleicht noch nicht in ausreichendem Maße.

Sehen Sie Ansatzpunkte in der Gesellschaft, um der steigenden Gewalt gegen Einsatzkräfte zu begegnen?

Köster: Da spielt natürlich die Frage eine Rolle, wie unsere Gesellschaft insgesamt mit Gewalt umgeht. Ich glaube außerdem, dass sich Teile der Gesellschaft von oben fremdbestimmt und von Entscheidungsfindungs-Prozessen ausgegrenzt fühlen. Diese Staats- und Demokratiemüdigkeit ist relativ verbreitet, das finde ich sehr schade. Und bezogen auf die Polizei muss es gelingen, dass die Polizei tatsächlich als originärer Teil der Gesellschaft verstanden wird, die das umsetzt, was vorher gemeinsam demokratisch beschlossen wurde. Wir brauchen die selbstverständliche Überzeugung, dass der Polizist genau wie ich ein Bürger ist – auch wenn er eine andere Funktion wahrnimmt. Ich bin überzeugt: Demjenigen, dem ich so gesehen auf gleicher Ebene begegne, begegne ich auch mit mehr Respekt.

Gespräch: Dieter Sell (epd)