Alle Teilnehmer waren sich einig, dass nach der NS-Zeit eine neue Dachorganisation an die Stelle der 1933 gegründeten, staatsfixierten „Deutschen Evangelischen Kirche“ treten musste. Doch sie trugen Konzepte im Gepäck, die unterschiedlicher kaum sein konnten, wie der Münchner Kirchenhistoriker Harry Oelke erläutert.
So strebte Bischof Hans Meiser (1881-1956) aus München eine Konfessionskirche der Lutheraner an, in der die reformierten und unierten Protestanten nur am Rande vorkommen sollten. Martin Niemöller (1892-1984) dagegen, in der NS-Zeit Symbolfigur der kirchlichen Opposition gegen Hitler, plädierte für eine „Kirche von unten“: Von den Gemeinden her sollte sie sich aufbauen und ihre Schuld am Nazi-Unheil bekennen.
„Vulkan“ und „Eisberg“ auf Kollisionskurs
Immer wieder gerieten der „Vulkan“ genannte Niemöller und der „Eisberg“ Meiser im Kirchsaal von „Hephata“ aneinander. „Sie haben es kaum zusammen in einem Raum ausgehalten“, sagt Oelke. Die Konferenz drohte zeitweilig zu platzen.
Dass es nicht dazu kam, ist zum großen Teil dem Stuttgarter Bischof Wurm zu verdanken. Wurm galt wegen seines Protests gegen das Euthanasie-Programm der Nazis zur Tötung geistig behinderter Menschen als moralische Autorität. Seit 1941 verfolgte er ein kirchliches Einigungswerk: Er wollte die zerstrittenen Gruppen der kirchlichen Opposition zusammenführen. „Er hatte Charisma, ihm traute man das zu.“
Nach hitzigen Diskussionen einigten sich die Kirchenvertreter in Treysa auf einen Kompromiss: die Vorläufige Ordnung für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Darin wird die Eigenständigkeit der Landeskirchen betont. Auch auf ein eigenes Bekenntnis verzichtet die EKD. Sie soll in erster Linie die Interessen der Kirche nach außen vertreten und ihre politische und soziale Verantwortung wahrnehmen – unter anderem durch das neu gegründete Evangelische Hilfswerk, das sich um Flüchtlinge und Vertriebene kümmern sollte.
Eine Lektion aus den Erfahrungen der NS-Zeit war die neue Leitungsstruktur mit einem zunächst zwölf Personen umfassenden Rat aus Theologen und Laien an der Spitze. Erster EKD-Ratsvorsitzender wurde Wurm, sein Stellvertreter Niemöller. In den Rat rückte auch der Jurist und spätere Bundespräsident Gustav Heinemann (1899-1976).