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Die Corona-Krise treibt die Kirchenentwicklung voran – EKD


Wurde das bisher vernachlässigt?

Bils: Als großer Tanker herrscht in der Kirche ein sehr versäultes Denken. Die Organisation geht aufs Preußische zurück. So wie große Organisationen und Unternehmen zukunftsträchtig denken, muss man viel fluider und agiler denken. midi versteht sich als Dienstleiterin. Wir möchten Partizipation ermöglichen und Institution sein, die andere zurüstet. Dazu stellen wir auch Praxismaterial für unterschiedliche kirchliche Ebenen zur Verfügung und helfen bei Vernetzungen.

Ist für midi auch die digitale Verkündigung ein Thema?

Bils: Natürlich. Wir haben eine Ad-hoc-Studie erarbeitet: „Digitale Verkündigungsformate während der Corona-Krise“. Diese Zeit ist ja ein Stresstest für unbewegliche Systeme wie die Kirche. Wir wollten erfahren: Wie wirkt sich Corona auf Verkündigung aus? An vielen Stellen sind ja tolle neue Ideen entstanden, wie man digital verkündigen kann. Die Studie hat viel Aufsehen erregt – damit hatten wir gar nicht gerechnet. „Corona“ ist an vielen Stellen für kirchliche Settings unheimlich anstrengend – bringt aber auch viele Chancen. Aus vielen Beratungsgesprächen weiß ich: Plötzlich werden Dinge möglich, die bislang vermeintlich nicht gingen.

Hat Corona von daher sogar eine gute Seite?

Bils: Das klänge etwas zynisch angesichts des Leides, das die Pandemie verursacht. Und bei der Formulierung „Corona als Chance“ schwillt ja vielen in der Kirche nachvollziehbar die Halsschlagader an angesichts der Herausforderungen, die das für Gemeinden mit sich bringt. Wenn ich systemisch als Kirchenentwicklerin draufblicke, kann ich sagen: Kirche steht ständig in großen Veränderungsprozessen, „ecclesia semper reformanda est“, Kirche reformiert sich ständig. In großen Organisationen bedeutet das „Change management“, es geschieht in drei Schritten. Zunächst investiert man darein, Strukturen aufzulösen. Auf der zweiten Stufe entwickelt man Veränderungstechniken. In der dritten Phase geht es ums Einfrieren, um aus der Kreativität wieder raus in die Produktivität zu kommen. Corona hat uns nun sozusagen den ersten Schritt – die Auflösung von Strukturen – geschenkt. Es ist gute strukturelle Offenheit da. Wir müssen keine Kraft mehr investieren, wir sind schon am Punkt, an dem sich Veränderungen zeigen. Ein Drittel unserer Kraft können wir uns also schenken. Und darüber nachdenken, welche Transformationsschritte nun möglich sind.

Auf der midi-Website habe ich den Satz gelesen, die Kirche müsse luftiger werden. Wie meinen Sie das?

Bils: Kirche ist im Laufe der Zeit starr in der Struktur geworden. Veränderungen in großen Institutionen geschehen, indem sie versuchen, diese Starrheit aufzubohren, damit es zwischen den Säulen diffundieren kann nach links und rechts; man spricht in diesem Zusammenhang von fluiden Lösungen und Agilität. Das ist gemeint, wenn wir sagen, Kirche müsse luftiger werden. Das ist aber nicht nur nüchtern strukturell gemeint. „Luftig“ bedeutet auch, dass der Heilige Geist ordentlich pusten kann. Manchmal meinen wir ja, dass etwas so bleiben müsse, „wie es immer war“. Damit verbauen wir oft dem Heiligen Geist die Chance, zu wehen, wo er will.

Es gibt Menschen, die befürchten, Veränderungen könnten Erreichtes in Frage stellen.

Bils: Es geht immer um ein Wechselspiel von Tradition und Innovation. Bei Neuerungen geht es ja nicht darum, auf-Teufel-komm-raus alles Traditionelle platt zu machen. Die Frage ist: An welchen Stellen braucht es etwas Innovatives, an welchen etwas Traditionelles? Da kann man gut auf beiden Seiten vom Pferd fallen. Eine Innovation, die nur innovativ sein will – damit ist nichts gewonnen. Gleichsam bringt die Konservierung von Traditionellem, die sich nicht mit dem Inhalt des zu Erhaltenden auseinandersetzt, nichts.

Ich habe den Eindruck, dass viele der Kräfte, die etwas erhalten wollen, eher bremsen und Sand ins Getriebe streuen. Es ist wichtig, dass wir in Kirchenentwicklungsprozessen immer wieder fragen: Worin besteht unser Auftrag? Was ist unsere christliche Kernbotschaft? Was haben wir auf dieser Grundlage beizutragen? Je klarer wir das beschreiben können, desto besser sind wir geschützt vor beiden Gefahren: Unter dem Deckmantel des Konservativen selbstgerecht und träge zu werden – oder aber uns übertrieben innovativ, aber schwammig auf dem Markt der Sinnanbieter darzustellen. Kirchenentwicklung bringt Tradition und Innovation miteinander ins Gespräch.

Kirche ist ja nicht nur das, wie sie sich nach außen sichtbar inszeniert. Kirchgebäude, Orgel, Glockenturm. Wir sollten auch die Ebene hinter dem Sichtbaren bedenken und überlegen: Wofür steht die Orgel? Wovon singen wir in unseren Liedern? Warum gibt es Pastorinnen und Pastoren, welche zentrale Botschaft sollen sie unters Volk bringen? Da geht es um Begriffe wie Gnade, Vergebung, Nächstenliebe, Angenommensein ohne Bedingungen. Und um die Antwort auf die Frage: Was haben Christen in der Gesellschaft beizutragen?

Viele hätten da gerne einfache Antworten.

Bils: Wir sind in einer megakomplexen Welt. Da gibt es keine einfachen Lösungen. Wir brauchen inhaltliche Diskussionen, auch wenn sie manchmal wehtun. Die elf Leitsätze der EKD sind ein schönes Beispiel. Es gab viel Kritik, aber der Weg ist richtig: Dass Kirche sich bewusst auf den Weg macht. Die Schlaglichter machen deutlich, in welche Richtung es gehen kann. Die Kritik zeigt ja, wieviel Energie drinsteckt. Wir bei midi haben uns intensiv mit den Thesen auseinandergesetzt. Wir möchten unseren Beitrag dazu leisten, dass die entfachte Dynamik sich weiterentwickelt.

Können Sie uns am Ende drei innovative Projekte nennen, die Sie für beispielhaft halten?

Bils: Das kann ich gerne machen. Aber: Es wäre ein Trugschluss, dass wir mit kleinen Projekten eine ganzheitliche Kirchenentwicklung auf den Weg bringen. In solchen „Leuchtturmprojekten“ steckt viel Inspiration und Erfahrung. Aber der Fokus auf Einzelbeispiele bringt uns nicht im Ganzen weiter. Sie sind nur kleine Impulse für das Gesamtsystem Kirche. Viel nötiger ist ein Ineinandergreifen kleiner Initiativen und Projekte ,bei denen man leuchtende Augen bekommt, mit längeren Prozessen und kirchenleitender Unterstützung, erst dann kommt Veränderung zustande. Dazu müssten wir an den Stellschrauben drehen, wie sie zum Beispiel in den elf Leitsätzen genannt werden: Amt, Parochialstrukturen, Verteilung von Geld, Bildung multiprofessioneller Teams.