Das Projekt der beiden Dresdner Gemeinden sieht Assmann deswegen als „Experimentierraum“, als „Reallabor“, als „Postwachstumsgesellschaft im Kleinen“. Es gehe um Entschleunigung, um eine Ethik und Frömmigkeit des Genug, um gutes, um gerechtes Leben für alle, sagt Assmann. Spiritualität, Gemeindeaufbau, Lebensstil, Bildung, Menschenrechte und Vernetzung – alle Bereiche des Lebens sollen vom „anders wachsen“-Gedanken her neu gedacht werden. „Wir brauchen Orte, an denen Menschen eine Ahnung bekommen: Ja, so könnte es anders gehen. So kann eine Gesellschaft jenseits des Wachstums aussehen. So fühlt sich das an, so riecht und schmeckt das.“
Die Johanneskirchgemeinde Dresden-Johannstadt-Striesen und die Kirchgemeinde Frieden und Hoffnung in Dresden-Löbtau wollen neben den Gemeindemitgliedern auch kirchenferne Menschen ansprechen und zur Mitwirkung motivieren. „Nie war es so dringend, darüber zu sprechen, in was für einer Welt wir leben wollen und können“, sagt Assmann. „Viele Fragen werden bereits in der Bibel diskutiert: Wie könnte eine solidarische Wirtschaftsform aussehen? Was können wir essen und konsumieren, wenn uns Menschenrechte nicht nur in Deutschland wichtig sind? Welche Weisheiten und Rezepte unserer Großeltern könnten wir dabei entdecken?“
Auch etliche Gemeindemitglieder hat dieser Gedanke motiviert, sie beteiligen sich aktiv. Zum Beispiel diskutieren sie, was gutes Leben ist oder wie sich das Grundeinkommen umsetzen lässt. Deutschlandweit haben 1700 Menschen den Newsletter des Projekts abonniert.
Der Anfang zu „anders wachsen“ liegt allerdings schon länger zurück. Eine Sächsische Basisinitiative forderte die Evangelische Kirche in Deutschland bereits 2011 auf, sich öffentlich für Alternativen zur globalen Wirtschaftsordnung stark zu machen. Daraus entwickelte sich die Idee einer „anders wachsen“-Modellgemeinde. 2016 wurde zunächst eine halbe Projektstelle etabliert, 2019 eine volle Stelle, die vom Lutherischen Weltbund, der Stiftung Kulturelle Erneuerung und der sächsischen Landeskirche gefördert wird.
„Die Kirche ist schon ganz gut dabei, wenn es um Klimaschutz geht“, sagt die 29-jährige Theologin. „Es könnte aber gerne noch mehr sein.“ Es geht darum Haushalte und Verwaltungsstrukturen neu zudenken, aber auch um die Mitarbeit jeder einzelnen Person, sagt Assmann. „Wir behaupten nicht, Lösungen für alles zu haben. Aber wir fordern, dass andere Wege ausprobiert werden.“