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Der Riss durch den Himmel – EKD


Bald wurde Luther im Vatikan angezeigt, im Juni 1518 eröffnete Leo X. den Ketzerprozess. Doch Luthers Landesherr, Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen (1463-1525), schützte seinen Professor. Da im Juni 1519 die Wahl des neuen römisch-deutschen Königs anstand, wollte der Papst die Beziehung zu dem Kurfürsten als Mitglied des Wahlgremiums nicht belasten und ließ den Prozess schleifen. Anfang 1520 nahm der Vatikan den Prozess gegen den Reformator wieder auf.

Am 15. Juni erließ der Papst die Bannandrohungsbulle „Exsurge domine“ („Steh auf, Herr!“), benannt nach Psalm 10,12. Der Folgevers beginnt mit den Worten: „Warum soll der Gottlose Gott lästern?“. Der Papst gebot die Verbrennung sämtlicher Schriften Luthers und forderte von ihm den Widerruf binnen 60 Tagen. Andernfalls treffe ihn der Kirchenbann, dem die Reichsacht zu folgen hatte – Luther wäre exkommuniziert, rechtlos und vogelfrei. Im Herbst wurde das Schreiben bekanntgemacht.

Gegen den Vatikan erhoben sich einflussreiche Stimmen der Wissenschaft, die Humanisten. Ulrich von Hutten schrieb: „Hier geht es ja nicht um Luther, sondern um alle; nicht nur gegen einen wird das Schwert erhoben, sondern uns alle greift man öffentlich an. Sie wollen nicht, dass man ihrer Tyrannei Widerstand leistet; sie wollen nicht, dass man ihren Betrug aufdeckt, ihre Vorstellung durchschaut, ihrem Wüten trotzt.“

Luthers Gegenschlag war die Verbrennung der Bannandrohungsbulle zusammen mit dem Kirchenrecht am 10. Dezember 1520; zum Ende eines Jahres, in dem er drei seiner reformatorischen Hauptwerke verfasst hatte. Kurz darauf, am 3. Januar 1521, setzte der Papst seine Drohung in die Tat um und veröffentlichte die Bannbulle gegen Luther. Die praktischen Konsequenzen für den Reformator waren aber geringer als erwartet: Luther gewann immer mehr Anhänger, und Kurfürst Friedrich von Sachsen widersetzte sich der Forderung Roms nach einer Auslieferung.

„Die politischen Umstände haben Luther das Leben gerettet“, erläutert der Kirchenhistoriker Wriedt. Im Reich gärte es seit Jahrzehnten. Die Reichsstände klagten über die von Rom auferlegten Lasten und gegen die Untätigkeit des Kaisers. Luthers theologisch begründeter Protest passte in die Zeit: Fürsten und Städte strebten nach mehr Freiheit. Auf der anderen Seite brauchte Kaiser Karl V. die Unterstützung auch der evangelischen Reichsstände und ihr Geld, um sich gegen die Attacken Frankreichs und des Osmanischen Reichs zu behaupten. Kirchenbann und Reichsacht gegen Luther konnten den Lauf der reformatorischen Parole „allein der Glaube, allein die Gnade, allein die Schrift, allein Christus“ nicht aufhalten.

Die durch Martin Luther ausgelöste Reformation sei eine Zeitenwende in theologischer Hinsicht gewesen, nicht im Blick auf die inszenierten Handlungen, resümiert Wriedt. Der Reformator habe in einer von vielerlei Ängsten beherrschten Zeit durch die Methode der Schriftauslegung zu einer „neuen Qualität der Heilsgewissheit“ gefunden: „Ich kann mein Heil direkt mit Gott ausmachen.“ Luther habe dies nicht im Sinne der neuzeitlichen Autonomie des Einzelnen gedacht, betont Wriedt. „Gottes Heil ergreift mich – ich brauche keinen, der dazwischensteht.“ Selbst keinen Papst.

Jens Bayer-Gimm (epd)