Für die evangelische Theologin Susanne Breit-Keßler kann die Fastenzeit gerade während der Corona-Pandemie eine seelische Stütze sein. Seit 1983 lädt die evangelische Kirche zur Fastenaktion „7 Wochen Ohne“ ein. In diesem Jahr steht die Aktion zwischen dem 17. Februar (Aschermittwoch) und dem 5. April unter dem Motto „Spielraum – Sieben Wochen ohne Blockaden“. Sie solle dazu beitragen, „dass Menschen mehr Weite in ihrem Leben entdecken und Enge hinter sich lassen“, sagt die frühere Münchner Regionalbischöfin und Kuratoriumsvorsitzende der Initiative dem epd.
Fasten sei keine moralische Angelegenheit, betont Breit-Keßler: „Es bedeutet vor allem, kleine Fluchten und große Freiheiten für sich zu entdecken. Wo und wie kann ich mich neu und anders als bisher entfalten?“ Das diesjährige Motto „Spielraum“ solle auch für eine Zeit stehen, „in der ich nachdenke, wie die Menschen dieser Welt miteinander verbunden sind und was man selbst zu einer Globalisierung der Herzen beitragen kann“.
In der Fastenzeit vor dem zweiten Corona-Ostern, fügt die evangelische Theologin Jacobs hinzu, geht es nicht um einen Beweis „der eigenen Willensstärke, nicht ums Durchhalten und auch nicht um Kalorienreduktion, sondern darum, sich zu besinnen und das Leiden nicht aus dem Sinn und Blick zu verlieren“. Es gehe darum, „das Mitleidenkönnen nicht zu verlernen“. Daher redeten Protestantinnen und Protestanten lieber von Passionszeit als von Fastenzeit.
Fastengruppen und Gesprächskreise müssen in diesem Jahr meist digital stattfinden, per Zoom, über WhatsApp oder E-Mail, wie es die Aktion „7 Wochen Ohne“ anbietet. Pfarrerin Jacobs will in ihrer Gemeinde in Hannover die Passionszeit auf diese Weise gestalten. Ein digitaler Adventskalender sei bereits gut angekommen und habe gezeigt: „Auch 80-Jährige fühlen sich via Smartphone mit anderen verbunden und beherrschen diese Kommunikationsform oft erstaunlich gut.“
Breit-Keßler sagt: „Wir sind inzwischen alle fit in Videokonferenzen. In ihnen kann man sich gut über eigene Erfahrungen austauschen. Dazu rate ich, per Mail Rundbriefe zu schreiben – eine fängt an, ein anderer fügt etwas hinzu und so weiter.“ Solche Briefe könne man sich aufheben und überdenken.
Gerade dieses Jahr, sagt Jacobs, eigne sich gut für die Fastenzeit, „weil es letztlich ein gewohntes Ritual ist, mit der die Zeit strukturiert wird und weil man dieses Jahr auch mehr Zeit hat, die ganzen Fastenkalender und -Mails zu lesen“. In der Passionszeit 2021 könne es darum gehen, „nach den eigenen Kraftquellen zu suchen, um Wüstenzeiten zu überstehen, so wie Jesus die 40 Tage in der Wüste überstanden hat, ohne verrückt zu werden“. Vielleicht könne man die Passionszeit in diesem Jahr begehen, ohne auf bestimmte Lebensmittel zu verzichten.
Während eines solchen Rückzugs – ob freiwillig oder angeordnet – könnten freilich Ängste, Verdrängtes sowie andere Gefühle nach oben kommen, gibt der Theologe Hoffmann zu bedenken: „Das passiert jetzt natürlich ganz viel: Die Nerven liegen blank, wir starren auf die Nachrichten. Wie schlimm wird es denn noch?“
Da müsse man aufpassen, nicht in den Sog des Negativen zu geraten. Daher solle man jetzt laut Hoffmann „seine Dämonen und schweren Gedanken liebevoll anschauen, willkommen heißen, aber auch loslassen“. In dieser Weise könne die Fastenzeit gerade in der Corona-Krise „ein Weg zur Seelenruhe“ werden.
Von Stephan Cezanne (epd)