„Entrechtet, gedemütigt, verschleppt und ermordet.“
Gedenkstunde: Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July erinnert an die aus Stuttgart deportierten Juden
Stuttgart. Aus Anlass einer Gedenkstunde am Sonntag, 25. April, im Stuttgarter Hospitalhof hat Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July an die Jüdinnen und Juden erinnert, „die am 26. April 1942 hier in Stuttgart vom Killesberg über den Nordbahnhof nach Izbica deportiert worden sind – entrechtet, gedemütigt, gewaltsam verschleppt und schließlich ermordet“. Mehr als 400 Menschen mussten damals ihr Zuhause verlassen, wurden in das Transitghetto unweit des polnischen Ortes Lublin gebracht und später in verschiedenen Vernichtungslagern getötet.
July thematisierte die Schuldfrage: „Auch aus Familien, in denen ein Christian und ein Gottlob getauft wurde, kamen die Täter. Es ist auch unsere Kirchen-Geschichte.“ Die Vornamen dieser beiden Täter würden nahezu herausschreien, welche Schuld Christen und Kirche auf sich geladen haben. Mit den Worten des Apostels Paulus machte der Landesbischof deutlich, „dass Israel bleibend die Wurzel ist, von der auch wir leben“. (Römer 11,18). „Es ist bitter, dass es bis heute Antisemitismus in unserem Land gibt; ein Tag der Erinnerung wie heute erweist die Schamlosigkeit derer, die von ihrem Hass nicht ablassen.“
Die Gedenkstunde war Teil der Themenreihe „Jüdisches Leben in Deutschland. 1.700 Jahre Begegnung und Vergegnung“, einer Kooperation des Evangelischen Bildungszentrums im Stuttgarter Hospitalhof mit verschiedenen Gemeinschaften und Vereinen. Aufgrund der Corona-Pandemie und der hohen Inzidenzzahl in Stuttgart wurde die Gedenkstunde per Livestream übertragen.
Prof. Barbara Traub von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) machte anlässlich der Veranstaltung deutlich: „Wir begehen in diesem Jahr 1.700 Jahre jüdische Geschichte auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland. Dazu gehört für uns, heute nicht nur der freudvollen Momente und Entwicklungen, sondern auch der Brüche zu gedenken. Der schwerste Bruch wurde durch die Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung vollzogen. Wir gedenken der Opfer, um sie in unserer Erinnerung lebendig zu halten, wie es die jüdische Tradition gebietet.“
Der Leiter des Stuttgarter Stadtarchivs, Prof. Dr. Roland Müller, schilderte das Leid der Opfer: Ihrem Zuhause entrissen, hätten sie nur Reisegepäck, Wolldecken und Kissen mitnehmen dürfen, ihr übriger Besitz wurde enteignet. In Izbica lebten zum Teil zehn Familien auf engem Raum, die Brotration für Nichtarbeitende betrug 50 Gramm am Tag. „Ständig vom Tod bedroht vegetierten die Menschen buchstäblich dahin“, so Müller. In den Vernichtungslagern angekommen, hätten sie dann nur noch wenige Stunden überlebt. Der Archivar geht davon, dass alle mehr als 400 Verschleppten der zweiten großen Stuttgarter Deportation ermordet wurden.
Oliver Hoesch
Sprecher der Landeskirche
Hinweis: Der Livestream zur Gedenkstunde ist am Sonntag, 25. April, ab 18 Uhr hier abrufbar. Fotos von Landesbischof July und vom Deportations-Mahnmal auf dem Killesberg in Stuttgart können Sie im Pressebereich unserer Homepage herunterladen.