Ein „Ahr-Psalm“, Klage-Rezitationen und bewegende Schilderungen von Angst und Zerstörung: Der Gottesdienst für die Flutopfer gibt dem Entsetzen über die Katastrophe Raum, fragt aber auch nach Konsequenzen für die Politik und das eigene Handeln.
Aachen (epd). „Schreien will ich zu dir Gott, mit verwundeter Seele, doch meine Worte gefrieren mir auf der Zunge.“ Diese Worte ziehen sich wie ein roter Faden durch den ökumenischen Gottesdienst zum Gedenken an die Opfer der Flutkatastrophe Mitte Juli. Es ist ein Vers aus dem „Ahr-Psalm“ des katholischen Priesters Stephan Wahl. Er hat ihn kurz nach dem zerstörerischen Hochwasser im Ahrtal und in anderen Regionen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mit mehr als 180 Toten und hunderten Verletzten geschrieben. Die Zunge lösen, Leid und Verzweiflung öffentlich Raum geben – das ist eine Seite des bundesweiten Trauerakts am Samstag im Aachener Dom, der vom ZDF übertragen wird. Daneben geht es aber auch um Hoffnung und Zuversicht – eine schwierige Balance.
„Gott war da, mitten in den Fluten, aber nicht als der, der auf den Flutknopf drückt, sondern als der, der mit den Opfern geschrien hat, der mit ihnen gelitten hat“, betont der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, in seiner Predigt. Bei der Feier auf Einladung der EKD, der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) geht es nicht um leere Trostformeln, sondern um echten Trost. Und darum, „überhaupt erstmal zu beschreiben, was passiert ist“, wie der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, vorsichtig formuliert: „Wir bitten Gott, Hoffnung zu schenken, wo die Hoffnung weggespült zu sein scheint.“
Zu den 180 geladenen Gästen gehört die politische Prominenz mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, Armin Laschet (CDU) und Malu Dreyer (SPD). Gut die Hälfte der Gäste, die wegen Corona einzeln und etwas verloren unter der prächtigen Kuppel des Aachener Doms sitzen, sind aber Betroffene der Flutkatastrophe sowie Helferinnen und Helfer, die ebenfalls zu Wort kommen.
Sie habe die Erinnerung an die Nacht vom 14. auf den 15. Juli „abgelegt wie in einer Schublade und fest verschlossen“, erzählt eine Betroffene. Aber jetzt kämen immer neue Ängste: vor Winter und Kälte, vor neuen Fluten bei jedem Regen. „Gut ist noch lange nichts“, lautet ihr Fazit. Notfallseelsorgerin Rita Nagel berichtet, wie schwer es ist, das Leben wiederzufinden, „das mit den Müllbergen weggeworfen wurde“: all die Fotos, Briefe und Erinnerungen aus vielen Jahren.
„Wir brauchen einander in dieser schweren Zeit“, das ist die Erfahrung und der Appell des Aachener Superintendenten Hans-Peter Bruckhoff in einem dritten Betroffenen-Statement. Das Pfarrhaus des evangelischen Theologen wurde in der Nacht zerstört, in der er nicht zu Hause war. Seine Frau und ein Nachbar harrten dort aus und entzündeten eine Kerze gegen die Dunkelheit, während das Wasser im Erdgeschoss stand.
Emotional wirken auch alte jüdische oder christliche Klagerezitationen und Choräle: „Ubi Caritas .. Wo Liebe ist und Güte, da wohnt Gott.“ Und so wird auch die große Hilfsbereitschaft in den Flutgebieten immer wieder als Zeichen der Hoffnung benannt. „Ich weiß: In der Stunde der Not sind wir ein starkes, ein solidarisches Land“, sagt Bundespräsident Steinmeier nach dem Gottesdienst. Er ruft dazu auf, nicht nachzulassen, wenn die Fernsehkameras in den Katastrophengebieten abgebaut sind. Zugleich richtet er den Blick auf den weltweiten Klimawandel: „Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren“, forderte er. „Die Folgen des Klimawandels haben auch uns in Europa erreicht – daran kann es keinen Zweifel geben. Wir müssen den Klimawandel mit aller Entschlossenheit bekämpfen!“
Der Gottesdienst war gedacht als bundesweites Zeichen des Mitgefühls – aber er erweist sich auch als Versuch, erste Lehren aus der Hochwasserkatastrophe zu ziehen. Die Folgen des „menschengemachten Klimawandels“ seien angekommen, das ist unstrittig für den EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm. Und so schließt er seine Predigt mit der persönlichen Vision, dass „die Abgründe an Leid“ bei der Flutkatastrophe in 20 Jahren zu einem klimafreundlichen Lebensstil geführt haben könnten. „Und wir alle haben verstanden, dass wir nie gegen die Natur gut leben können, sondern nur mit ihr.“
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