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Die Angst vor einem einsamen Weihnachten – EKD


Dass die Sorgen der Menschen wieder wachsen, spürt auch die deutsche Telefonseelsorge seit einiger Zeit. „Die Gespräche zum Thema Coronavirus sind im Vergleich zum Vormonat deutlich angestiegen“, teilte die Pressestelle mit. Noch im Oktober seien von bundesweit täglich rund 2.600 Gesprächen drei bis vier Prozent zur Pandemie gewesen. Dieser Anteil sei im November auf elf Prozent, in den ost- und süddeutschen Bundeslänger gar auf 20 Prozent gestiegen. Die Themen Einsamkeit (22,7 Prozent), Ängste (15 Prozent), depressive Stimmung (16,5 Prozent) verharrten auf hohem Niveau.

Studien zeigen, dass in den bisherigen Corona-Wellen das Gefühl der Einsamkeit in Deutschland unter allen Altersgruppen zunahm. Das Deutsche Alterssurvey ergab, dass 2020 die Einsamkeitsrate bei den 46- bis 90-Jährigen bei etwa 14 Prozent lag und damit um fünf Prozent höher als in den Jahren 2014 und 2017. Und für Europa ergab eine von der EU-Kommission herausgegebene Studie, dass unter den 18- bis 25-jährigen Menschen der Anteil derjenigen, die sich einsam fühlten, von neun Prozent im Jahr 2016 auf 35 Prozent in der Zeit von April bis Juli 2020 gestiegen war. Durch den Lockdown fehlten gerade diesen sozial aktiven Altersgruppen Sozialkontakte.

Aber Menschen können sich auch einsam fühlen, obwohl sie objektiv gar nicht alleine sind. Der Kasseler Soziologe Janosch Schobin beschreibt die Unterschiede: „Soziale Isolation ist eine Zustandsbeschreibung. Leute haben wenig Kontakt zu Personen, zu denen sie eine positive affektive Bindung haben. Das andere sind Einsamkeitsempfindungen, die können Menschen ohne soziale Isolation haben, einfach, weil ihnen etwas fehlt“, erklärte der Einsamkeitsexperte.

Es gibt einen Unterschied zwischen Einsamkeit und „Allein-Sein“: Menschen ziehen sich manchmal auch freiwillig zurück, um bei sich zu sein, Stille und Ruhe zu genießen. „Man ist sich dann selber sehr nahe, kann kreativ sein und ist in intensiver Verbindung mit der Welt“, erläutert der Berliner Psychotherapeut Wolfgang Krüger.

Die niederländische Einhandseglerin Laura Dekker, die als Teenager in mehr als 500 Tage die Welt umsegelt hat, beschrieb die Zeit alleine auf ihrem Boot Guppy in einem Blog als „herrlich“. „Es gibt Menschen, die aufgrund ihrer genetischen Disposition gut damit zurecht kommen und es genießen, für sich zu sein“, erläutert Lilie, der gemeinsam mit dem Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen, das Buch „Für sich sein – Altas der Einsamkeiten“ verfasst hat.

Doch letztlich sind Menschen auf das Zusammensein mit anderen angewiesen: Die US-Amerikaner John T. Cacioppo und William H. Patrick gelten als Pioniere der Einsamkeitsforschung. Sie haben gezeigt, dass der Mensch evolutionär und genetisch ein soziales Wesen ist: Er gehörte immer zu einer Gruppe, um widrige Umstände und Gefahren zu überleben. Deshalb erleidet er ohne andere Menschen auf Dauer einen „sozialen Schmerz“.

Laut neurobiologischer Forschung ist die Einsamkeit eines Menschen im Gehirn dort zu erkennen, wo auch der körperliche Schmerz sitzt. In Film „Verschollen“ mit Tom Hanks überlebt ein Mann nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel. Dort baut er sich aus einem Volleyball den Gefährten „Wilson“, mit dem er Gespräche führt, weil er sonst die Einsamkeit nicht ertragen hätte. Längst gibt es Studien, die zeigen, dass eine lange Phase der Einsamkeit auch körperlich krank machen und zu Herzinfarkt, Schlaganfall, Depressionen, Demenz und Krebs führen kann.

Gemeinsame Erlebnisse sind also für das Wohlbefinden äußerst wichtig. Und das „Fest der Liebe“ spielt dabei eine besondere Rolle. „Weihnachten ist ein festes Ritual und für den Zusammenhalt in der Gesellschaft unendlich wichtig“, sagt Psychotherapeut Krüger. Er rät: Wer keine Familie mehr habe, solle sich daher Menschen suchen, die Unterstützung brauchten, und mit ihnen zusammen feiern. Wenn es die Inzidenzzahlen zulassen.

Von Michael Ruffert (epd)