Gemeinsame Stellungnahme
des Bevollmächtigten des Rates der EKD
bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union und
des Leiters des Kommissariats der deutschen Bischöfe
– Katholisches Büro in Berlin –
zum Diskussionspapier für ein Demokratiefördergesetz
Die beiden großen Kirchen in Deutschland danken dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Bundesministerium des Inneren und für die Heimat für die Übersendung des Diskussionspapiers und für die Möglichkeit, Stellung zu den Überlegungen zu den möglichen Inhalten eines Demokratiefördergesetzes nehmen. Sie begrüßen, dass sie neben einer Vielzahl weiterer Akteure aus der Zivilgesellschaft zu Beginn in den Dialog um die Ausgestaltung des Gesetzes eingebunden werden. Sie befürworten ein Demokratiefördergesetz, das zum Ziel hat, die notwendigen Rahmenbedingungen zivilgesellschaftlicher Bildungs-, Beratungs-, Präventions- und Ausstiegsarbeit zu schaffen und finanziell nachhaltig abzusichern.
I. Rolle der Kirchen in der Demokratieförderung
Die Kirchen vertreten die Auffassung, dass der demokratische und soziale Rechtsstaat – mithin die freiheitliche Demokratie – zwar keine perfekte Ordnung ist, sich im Hinblick auf das Zusammenleben in dieser Welt als die bestmögliche politische und gesellschaftliche Ordnung erwiesen hat.[1] Demokratische Strukturen erweisen sich als stabil und zugleich den jeweiligen gesellschaftlichen Erfordernissen entsprechend als „lern- und kritikfähig“. Demokratie stärken heißt, sich gegen jede Form von Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt zu positionieren. Demokratie stärken heißt zudem, dass die Teilnahme am demokratischen Streit der Meinungen sowie die Bereitschaft zur Mitgestaltung des Gemeinwesens eingeübt werden müssen. Dies setzt Bildungs- und Arbeitsprozesse voraus, in denen Menschen den Wert und die Würde der demokratischen Beteiligung theoretisch begreifen und persönlich erleben können.[2] Aus dieser Erkenntnis leiten wir die Pflicht ab, uns als Kirchen mit unseren Diensten, sozialen Einrichtungen, Bildungswerken, Verbänden, Laienorganisationen und Orden in den Bereichen Erwachsenen-, Kinder-, Familien- und Jugendarbeit aktiv für die Demokratie einzusetzen und unser gesellschaftliches Handeln auf eine Stärkung der demokratischen Ordnung auszurichten. Die Pluralität und Vielzahl der kirchlichen Dienste und Initiativen im Feld der Demokratieförderung und der politischen Bildung ist die logische Folge unseres Demokratieverständnisses und zeigt die enorme Bandbreite des kirchlichen Engagements für eine lebendige Demokratie. Kirchliche Akteure sind in der Demokratieförderung an unterschiedlichen Stellen zu finden: So bietet zum Beispiel die von den Kirchen gemeinsam ins Leben gerufene „Interkulturelle Woche“ seit langem einen erfolgreichen[3] Rahmen für die Vernetzung von zivilgesellschaftlichen Strukturen in mehr als 500 Städten und Gemeinden durch mehr als 5.000 Veranstaltungen. In den Ländern verantworten unter anderem die Katholischen und Evangelischen Akademien unterschiedliche Bildungs- und Fortbildungsangebote, gerade auch im Bereich der Demokratiebildung. Auch sind katholische und evangelische Träger zum Beispiel in einigen der neu aufgebauten Landesdemokratiezentren vertreten.[4] Auf Bundesebene arbeiten neben den beiden kirchlichen Werken und Jugendorganisationen Arbeitskreis evangelische Jugend (AEJ) und Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) viele weitere Akteure und Zusammenschlüsse wie zum Beispiel Frauen- und Arbeitnehmerbewegungen für die Förderung der Demokratie. Eine besondere Rolle spielen die politische Bildung und die Jugendbildung, für die explizit die Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke (AKSB) und die evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (ET) stehen. Die Jugendsozialarbeit der beiden Kirchen wird auf Bundesebene durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholischer Jugendsozialarbeit (BAG KJS) und die Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit (BAG EJSA) gebündelt.[5] Ein weiteres Beispiel ist die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R), in der sich etwa 50 Organisationen aus dem kirchlichen Raum gemeinsam gegen Rechtsextremismus einsetzen.
II. Wichtige Aspekte des Diskussionspapiers
Folgende Punkte aus dem Diskussionspapier möchten wir herausgreifen:
„Expertise der Zivilgesellschaft intensiv nutzen und da wo nötig Austausch ausbauen“[6]
Eine lebendige und selbstbewusste Zivilgesellschaft ist unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Dass sich die Bevölkerung in ihrer Breite für politische Fragen interessiert und an der gesellschaftlichen Debatte aktiv beteiligt, ist indes keine Selbstverständlichkeit. Um die Ausgewogenheit der politischen Meinungsbildung und des demokratischen Diskurses in seiner Vielfalt zu gewährleisten, gilt es, die gegenwärtig bestehende, gut funktionierende Vielfalt der zivilgesellschaftlichen Akteure zu erhalten. Etablierte Player müssen auf Bundesebene dauerhaft gestärkt und in einer jeweils passenden Regelförderung verankert werden. Für noch nicht professionalisierte, neue Initiativen sollte es entsprechende verlässliche Förderperspektiven geben. Demokratie lebt von einer ständigen „Entwicklungsfähigkeit“ und Offenheit.
„längerfristige, altersunabhängige und bedarfsorientierte Bundesförderung“[7]
Die Kirchen befürworten die Überarbeitung der Förderungsausgestaltung auf Bundesebene in allen drei Punkten. Die geplante Verstetigung ist der dringend gebotene Kernpunkt des Gesetzes.[8] Diese wird aktuell durch kurze Förderzeiträume und bürokratische Antragsverfahren behindert; beides bindet erhebliche Personalressourcen, die dann in der eigentlichen inhaltlichen Arbeit fehlen. Demokratieförderung fängt idealerweise im Kindergartenalter an und hört im Erwachsenenalter nicht auf. Sie ist umso erfolgreicher, je konsequenter sie sich an der Lebenswelt der jeweiligen Altersgruppe ausrichtet, welche mit den Projekten erreicht werden soll. Die Kirchen unterstützen deshalb die Altersunabhängigkeit der demokratiespezifischen Förderprogramme.
„Gestaltung und Förderung der Demokratie ist aber nicht alleine staatliche Aufgabe, sondern ein gemeinsames Anliegen des Staates und einer lebendigen, demokratischen Zivilgesellschaft“[9]
Demokratie ist gerade nicht allein staatliche Aufgabe, sondern lebt von vielfältiger zivilgesellschaftlicher Partizipation. Deswegen sollte die Entscheidung über die Frage, wer in den Genuss einer verstetigten Förderung kommt, nicht allein durch staatliche Entscheidungsträger geregelt sein, sondern unter Beteiligung ausgewählter Akteure aus der Zivilgesellschaft stattfinden.
„Festlegung des Adressatenkreises der Förderung“[10]
Das bestehende Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit, verlässliche Finanzierungsstrukturen zu schaffen und zugleich eine offene Dynamik und Durchlässigkeit für die Entwicklung von Ideen und Ansätzen zu erhalten, gilt es aufzulösen. Die Kirchen befürworten eine breite Berücksichtigung der möglichen Förderungsempfänger von Demokratieprojekten, da sie der pluralistisch geprägten Landschaft der Zivilgesellschaft gerecht wird.
„Maßnahmen zur Demokratiestärkung, Extremismusprävention und Vielfaltsgestaltung“[11]
Die Kirchen teilen die Auffassung, dass Demokratieförderung viele Bereiche berührt. Die demokratiefördernden Bildungsprozesse finden sowohl im Bereich der formalen wie der non-formalen Bildung statt. Außerschulische Angebote für Kinder, Eltern und Erwachsene bieten eine wichtige Erfahrung und Übung in Demokratie. Die Kirchen begrüßen daher, dass auch die beiden Ministerien den Begriff der Demokratieförderung in einem weiten Sinn verstehen.
„Den Zielen und Prinzipien des Grundgesetzes förderlich“[12]
Für die Kirchen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass nur Maßnahmen unterstützt werden, die den Zielen und Prinzipien des Grundgesetzes förderlich sind. Zudem gelten die allgemeinen Fördergrundsätze von Zuverlässigkeit und fachlicher Eignung. Auf einem expliziten Nachweis der demokratischen Zuverlässigkeit als Voraussetzung der staatlichen Förderung sollte nicht bestanden werden.
III. Konkretisierungswünsche im vorliegenden Diskussionspapier
Die Kirchen begrüßen, dass sich beide Ministerien einvernehmlich positiv zur Notwendigkeit einer verlässlichen finanziellen Demokratieförderung äußern. Bei der Frage nach der Umsetzung einer verstetigten Förderung kommt es auf die konkrete Ausgestaltung der Förderrichtlinien im Detail und das zur Verfügung gestellte Fördervolumen an. Hier wünschen wir uns, dass beide federführenden Ministerien weiterhin an einem Strang ziehen und dass durch die gute Zusammenarbeit ein fruchtbarer Austausch für die Arbeit der Demokratieförderung entsteht.
Konsultationsverfahren bei angekündigter Überarbeitung der Förderrichtlinie
Der Erfolg der Demokratieförderarbeit hängt entscheidend von der konkreten Ausgestaltung der jeweiligen Organisationsstrukturen bei der Verteilung der staatlichen Mittel und der Förderrichtlinien ab. Hier bleibt das Diskussionspapier noch vage. Bei der weiteren Ausgestaltung der Rahmenbedingungen sollten die bisherigen Erfahrungen der Förderempfänger aus dem Programm „Demokratie Leben!“ berücksichtigt werden. Genauso können die Erkenntnisse aus dem Bereich des Zentralstellenverfahrens im Rahmen des Kinder- und Jugendplans oder im Rahmen der Bundeszentrale für politische Bildung genutzt werden. Erforderlich ist eine weitere gesonderte Konsultation zu den beabsichtigten Förderstrukturen und Änderungen der Förderrichtlinie von zivilgesellschaftlichen und kirchlichen Akteuren auch aus dem Bereich des SGB VIII.
Einbindung der Expertise der Zivilgesellschaft bei der Vergabe
Die konkrete Umsetzung des im Diskussionspapier festgeschriebenen Ziels, „die Expertise der Zivilgesellschaft intensiv zu nutzen“, ist offen. Fraglich ist, ob und auf welche Weise Vertreter der Zivilgesellschaft auch bei der Entscheidung über Kriterien und Vergabe von staatlichen Fördermitteln eingebunden werden sollen. Welche Partizipationsmöglichkeiten hier sinnvollerweise in Frage kommen – ob durch gewählte Vertreterinnen und Vertreter in einem interdisziplinären Beirat oder Begleitausschuss, durch eine entsprechende Kommission, befristete Beleihung oder andere Strukturen – diese Frage muss genauer geprüft und diskutiert werden. Zu diskutieren wird auch sein, ob Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft im Zuge einer intensiven Beteiligung künftig Entscheidungskompetenzen erhalten sollen, oder ob ihnen weiterhin nur Beratungsfunktion zukommt.
Rolle von bisherigen Plänen und relevanten Akteuren auf Bundesebene
Die Kirchen stellen sich die Frage, in welchem Verhältnis ein Demokratiefördergesetz zu bestehenden Förderprogrammen, Bundesnetzwerken, Bundesbeauftragten und Plänen der Bundesregierung stehen wird. So finden etwa die demokratiestärkenden Wirkungen des Kinder- und Jugendplans (KJP) in dem Diskussionspapier für ein Demokratiefördergesetz vom BMFSFJ und BMI keinerlei Erwähnung. Wir wünschen uns eine sinnvolle Verzahnung der unterschiedlichen Bundesprogramme: So sollte die beschlossene Verstetigung des Förderprojektes „Demokratie Leben!“ keine negativen Auswirkungen auf Programme wie „Zusammenhalt durch Teilhabe“, die Förderung der politischen Jugendarbeit durch den KJP oder auf bestehende Strukturen wie die Bundeszentrale haben. Zugleich wäre aus unserer Sicht darauf zu achten, dass der fachliche Austausch und die fachliche Zusammenarbeit zwischen den Programmen gestärkt werden.
Berlin, den 18. März 2022
Fußnoten:
[1] Gemeinsames Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD „Vertrauen in die Demokratie stärken“ 11. April 2019, gemeinsame Texte Nr. 26; https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/gemeinsame_texte_26_demokratie_2019.pdf, zuletzt am 9. März 2022 abgerufen.
[2] Vgl. z.B. Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz „Dem Populismus widerstehen. Arbeitshilfe zum kirchlichen Umgang mit rechtspopulistischen Tendenzen“.
[3] Vgl. Jahresgutachten des SVR Migration „Normalfall Diversität? Wie das Einwanderungsland Deutschland mit Vielfalt umgeht“, S. 93-95; https://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2021/05/SVR_Jahresgutachten_2021_barrierefrei-1.pdf, zuletzt am 9. März 2022 abgerufen.
[4] Vgl. z.B. Programmbeirat des Demokratiezentrums Thüringen https://denkbunt-thueringen.de/landesprogramm/programmbeirat/ oder in Hessen im Beratungsnetzwerk: Bund der Deutschen Katholischen Jugend Hessen (BDKJ) und Evangelische Kirche in Hessen und Nassau und die Evangelisch Kirche von Kurhessen-Waldeck https://beratungsnetzwerk-hessen.de/vernetzung/netzwerk-mitglieder/. Beide zuletzt am 10. März 2022 abgerufen.
[5] Mit dem Programm „Respekt Coaches“ werden bundesweit Angebote der Demokratiebildung an Schulen durch die Jugendsozialarbeit umgesetzt, https://www.bagkjs.de/respekt-coaches/, zuletzt am 17. März 2022 abgerufen.
[6] Vgl. S. 6 des Diskussionspapiers.
[7] Vgl. S. 3 des Diskussionspapiers.
[8] Vgl. exemplarisch Beschluss Zur Demokratieförderung 12. Synode der EKD vom 9. Nov. 2020; https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/Beschluss-zur-Demokratiefoerderung.pdf, zuletzt am 17. März 2022 abgerufen.
[9] Vgl. S. 1 des Diskussionspapiers.
[10] Vgl. S. 5 des Diskussionspapiers.
[11] Vgl. S. 3 des Diskussionspapiers.
[12] Vgl. S. 6 des Diskussionspapiers.