Wissenschaftliche Untersuchung hat den Zusammenhang von Kirche und politischer Kultur unter die Lupe genommen
Kirchen sind eine Ressource für eine vielfältige, offene und vernetzte Gesellschaft. Dabei kommt insbesondere den Kirchengemeinden als möglicher Ort für demokratische Beteiligung und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse eine wichtige Rolle zu. Das ist das Ergebnis einer heute veröffentlichten interdisziplinären Studie, mit der die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) den Zusammenhang zwischen Kirche und politischer Kultur untersuchen ließ.
„Die evangelische Kirche ist Teil der Gesellschaft. Politische und soziale Spannungen, die Deutschland durchziehen, prägen auch das Gespräch in der evangelischen Kirche. Deshalb besteht eine wichtige Aufgabe unserer Kirche darin, gute Gespräche darüber zu gestalten, worauf wir uns einigen sollten und wo wir uns abgrenzen müssten. Das ist ein wichtiger Beitrag der evangelischen Kirche zur demokratischen Kultur in Deutschland“, sagt der Kulturbeauftragte des Rates der EKD, Johann Hinrich Claussen bei der Vorstellung der Studie „Zwischen Nächstenliebe und Abgrenzung“.
In der interdisziplinären Studie eines Forschungsverbundes wurde drei Jahre lang der Zusammenhang zwischen Kirchenmitgliedschaft, Religiosität, politischer Kultur und Vorurteilsstrukturen anhand dreier Teilprojekte aus verschiedenen sozialwissenschaftlichen Perspektiven beleuchtet. Die Studie war von der Synode der EKD initiiert und vom Rat gefördert worden und wurde durch das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD (SI) begleitet.
„Die Studie zeigt, wie in verschiedenen Kontexten auf vorhandene Bilder „des Fremden“ oder „der Eliten“ oder „des Nächsten“ zurückgegriffen wird. Damit werden Handlungsansätze für die evangelische Kirche in ihren Gemeinden, in ihren Internetdiensten, in der alltäglichen Begegnung erkennbar, aber auch die Grenzen des möglichen Diskurses“, so Privatdozentin Hilke Rebenstorf, die als Wissenschaftliche Referentin für Kirchensoziologie am SI den Forschungsverbund federführend begleitet hat. Die Studien stellen fest, dass Menschen, bei denen der Glaube im Leben eine zentrale Rolle einnimmt, weniger Vorurteile haben – gegenüber Geflüchteten, Muslim*innen und anderen Gruppen, aber stärkere Vorurteile gegenüber sexueller Vielfalt als die Bevölkerung im Durchschnitt“, so Rebenstorf.
„Kirchenmitglieder sind im Hinblick auf ihre Vorurteile grundsätzlich ein Spiegelbild der Gesellschaft“, so der Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD, Horst Gorski. Dennoch unterscheiden sich die Kirchenmitglieder untereinander und diese Unterschiede haben auch mit unterschiedlicher Religiosität und unterschiedlichen Praktiken zu tun. Das stelle die Gemeinden vor die Aufgabe, ihre Arbeit so auszurichten, dass Aufgeschlossenheit gestärkt und Vorurteile abgebaut würden. Umso wichtiger sei es, dass Gemeinden sich auch mit politisch-kulturellen Themen auseinandersetzen: „Kirchengemeinden ermöglichen ein Miteinander unterschiedlicher theologischer und gesellschaftspolitischer Haltungen und haben dadurch ein hohes integrierendes Potential“, so Gorski. Zugleich bedeute es für Gemeinden aber auch eine große Herausforderung, diese Potentiale zu heben.
„Für das Sozialwissenschaftliche Institut ist die Präzision, mit der das Thema Religiosität hier empirisch fassbar gemacht wird, besonders bedeutsam“, unterstreicht dessen Direktor Georg Lämmlin: „Das Verhältnis von persönlicher und sozialer Religionspraxis und die Differenzierung in der religiösen Ausrichtung sind für uns nicht nur im Blick auf die Vorurteilsstrukturen relevant, sondern auch im Verhältnis zur Kirchenmitgliedschaft und zur Kirchenentwicklung.“
Weitere Informationen sowie der kostenlose Download der Studie unter www.ekd.de/politische-kultur. Die Studie ist auch im Buchhandel erhältlich
Hannover, 28. April 2022
Pressestelle der EKD
Carsten Splitt