Sehr geehrte Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland,
liebe Frau Heinrich,
liebe Synodale,
verehrte Gäste,
liebe Schwestern und Brüder,
herzliche Grüße an Sie, die Sie zur Synode der EKD versammelt sind. Ich grüße Sie von der Konferenz Europäischer Kirchen in Brüssel, KEK. Ich bin dankbar, Gelegenheit zu haben, vor der Synode der EKD, der größten Mitgliedskirche, der größten ökumenischen Organisation in Europa, für die Konferenz Europäischer Kirchen sprechen zu können.
Viele von Ihnen werden die Konferenz Europäischer Kirchen kennen. Aber lassen Sie mich ein paar Fakten nennen. Die Konferenz wurde 1959 gegründet und ist ein Zusammenschluss von 114 europäischen Kirchen, orthodoxen, anglikanischen und protestantischen. Ursprünglich war sie eine Plattform für den Dialog zwischen den Kirchen in Ost- und Westeuropa. Nach dem Fall der Berliner Mauer musste sich die Konferenz neu erfinden und hat sich seitdem einen privilegierten Status als wichtiger ökumenischer Dialogpartner gegenüber den europäischen Institutionen in Brüssel erarbeitet.
Unsere Gespräche finden im Rahmen von Artikel 17 des Vertrags von Lissabon der Europäischen Union statt. In Anerkennung der historischen Rolle des Glaubens in Europa verpflichtet Artikel 17 die europäischen Politiker und Entscheidungsträger zu einem offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den Kirchen und Glaubensgemeinschaften.
Auf diese Weise hat die KEK die Rolle des Brückenbauers beibehalten, nicht zwischen Ost und West, sondern zwischen einem breiten Spektrum europäischen Kirchen und den europäischen Institutionen in Brüssel und Straßburg. Das ist gut und richtig. Es spiegelt den Willen der Kirchen wider, Teil der Gesellschaft zu sein.
Können wir aber unsere privilegierte Stellung als Dialogpartner in den kommenden Jahren als selbstverständlich ansehen? Die europäischen Gesellschaften werden zunehmend säkularer und pluralistischer. Dies ermöglicht es uns, mehr Stimmen zu hören. Das ist zu begrüßen und zu feiern. Aber Säkularität und Pluralität bedeuten auch, dass die etablierten Autoritäten und Institutionen ständig infrage gestellt werden. Von unseren Mitgliedskirchen hören wir, dass die Legitimität christlicher Stimmen in politischen Gesprächen überall auf unserem Kontinent umstritten ist. In einigen Fällen stellen wir fest, dass die Kirchen in den Debatten über unsere gemeinsame Zukunft absichtlich an den Rand gedrängt werden.
Als Christen halten wir es für richtig, dass die Kirchen eine glaubwürdige und legitime Stimme in dem Meer von Stimmen darstellen. Gleichzeitig wissen wir aus Erfahrung, dass unsere Legitimität nicht als selbstverständlich angesehen werden darf. Wir müssen unsere Stimme erheben, und zwar mit Überzeugung, und zeigen, was wir zu bieten haben.
Neben Säkularität und Pluralität sind in den letzten Jahren in ganz Europa zunehmend starke Anzeichen eines religiösen Analphabetismus zu beobachten. Die Religion wird mit Misstrauen betrachtet. Nicht zuletzt bei unseren politischen Entscheidungsträgern wird die Rolle der Religion infrage gestellt. Dies ist eine Herausforderung für die Kirchen. Es ist eine Herausforderung für alle glaubensbasierten Akteure, die ihre Rolle in unseren Gesellschaften spielen wollten.
Die vom Vorstand der Konferenz Europäischer Kirchen im November 2021 verabschiedete Strategie „Ruf und Zeugnis der KEK“ basiert auf der Auffassung, dass die KEK eine Gemeinschaft von Kirchen bleiben muss, eine Gemeinschaft, deren Hauptaufgabe darin besteht, dem Glauben als legitimen Element im europäischen politischen Diskussion Raum zu geben und zu sichern, eine Gemeinschaft, die Kirchen unterstützt, die darum ringen, ihren Weg als Kirchen in einem neuen und manchmal feindlichen Umfeld zu finden, eine Gemeinschaft, die Zeugnis ablegt von der Rolle der Kirchen in Frieden, Friedens‑ und Versöhnungsprozessen in Europa, und zwar durch ein Zeugnis für die Bedeutung der Kirchen in der Gesellschaft, das auf Theologie, Fürsprache, Dialog und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedskirchen beruht.
Unser Ziel ist es, den Kirchen in Europa auch auf lange Sicht eine Stimme zu geben. Die KEK möchte ein europäisches Ökosystem kirchlicher Ressourcen gestalten, das Hoffnung auf unsere gemeinsame Zukunft zum Wohle Europas und seiner Bürger ins Spiel bringt.
Denn nicht nur unsere europäischen Institutionen haben die Pflicht, einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog zu führen, wie es im Lissabonner Vertrag heißt. Ich möchte es umgekehrt betrachten und sagen, dass wir als Kirchen die gleiche Verpflichtung haben, die Anliegen, die uns am Herzen liegen, in unseren Gesellschaften einzubringen.
Es ist allgemein anerkannt, dass sich Politik und politische Überzeugungen nicht aus dem Nichts heraus entwickeln. Jede politische Entscheidung ist eingebettet in ein System von Überzeugungen, das, was der Einzelne für gut und wahr hält. Unterschiedliche Hintergründe und Kontexte, seien sie religiöser, sozialer oder kultureller Art, führen zu unterschiedlichen politischen Entscheidungen. Ebenso können sich nicht alle Kirchen in Europa auf alle Arten von politischen Positionen einigen. Wir konzentrieren uns auf die Einheit Christi, ja, aber Kirchen und Christen werden immer die Unterschiede der Menschen im Allgemeinen widerspiegeln. Ich denke, diesen Teil der menschlichen Natur werden Sie auch auf dieser EKD-Synode erkennen.
Mit dem Vertrauen, das uns durch Wahl und Leitung geschenkt wird, geht jedoch auch die Verpflichtung einher, unser gemeinsames Boot zu steuern, selbst wenn die Gewässer unruhig werden. Diejenigen unter Ihnen, die Erfahrung mit der ökumenischen Bewegung haben, wissen, dass es nicht immer leicht ist, eine gemeinsame Basis zwischen den Kirchenfamilien zu finden. Aber manchmal werden wir mit Erfolg belohnt. Durch Dialog, durch Zuhören, durch die Bereitschaft, die Überzeugungen des anderen zu verstehen, und durch die Bereitschaft des anderen, unsere Überzeugungen zu verstehen, und natürlich durch die Gnade Gottes, nicht unter Missachtung unserer Lehre, sondern unter Zurückstellung unseres Dogmatismus und des menschlichen Drangs nach Uniformität, in der politischen Sprache auch Totalitarismus genannt. Die Ökumene ist eine notwendige Übung des Gebens und Nehmens, des Zuhörens und Redens. Die Kirchen der ökumenischen Bewegung haben mit dieser Übung eine grundlegende, einheitliche Botschaft für unsere nationalen und europäischen Entscheidungsträger. Der Weg des Gebens und Nehmens, des Zuhörens und Redens ist ein Stachel im Bollwerk gegen europäische politische Uniformität und Dogmatismus. Er ist ein Stachel im Bollwerk gegen Totalitarismus. Die EKD und die Konferenz Europäischer Kirchen können dieser Stachel sein, wenn wir uns dafür einsetzen.
Liebe Synodale, danke, dass die EKD Teil unseres gemeinsamen ökumenischen Gesprächs in Europa ist. Danke, dass Sie ein Stachel im Bollwerk gegen europäische politische Uniformität und Dogmatismus sind.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.