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Statement der Bevollmächtigten bei der Übergabe der Erklärung des Rates der EKD gegen Antiziganismus – EKD


Sehr geehrter Romani Rose, liebe Dotschy Reinhardt,

es ist mir eine Ehre, in Vertretung der EKD-Ratsvorsitzenden als Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, heute die Erklärung des Rates „Gemeinsam Antiziganismus bekämpfen“ an Sie, sehr geehrter Herr Rose, zu übergeben. Sie ist ein Zeichen der Verbundenheit mit Ihnen und für das gemeinsame Anliegen, Antiziganismus in unserer Gesellschaft zu bekämpfen. Das gilt für die EKD nach außen – und zugleich als Selbstverpflichtung der Evangelischen Kirche nach innen: Wir verpflichten uns, unsere Geschichte kritisch zu beleuchten und unsere Gegenwart in Bildung, Verkündigung und Diakonie gegen Marginalisierung und Ausgrenzung von Sinti und Roma zu rüsten.

Sehr bewusst veröffentlichen wir diese Erklärung heute, am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, und übergeben sie Ihnen als Zeichen der Solidarität.

Mit dieser Erklärung hat der Rat der EKD beschlossen, die Definition von Antiziganismus der „International Holocaust Remembrance Alliance“ (IHRA) anzunehmen. In der zentralen Passage dieser Definition heißt es: „Antiziganismus manifestiert sich in individuellen Äußerungen und Handlungen sowie institutionellen Politiken und Praktiken der Marginalisierung, Ausgrenzung, physischen Gewalt, Herabwürdigung von Kulturen und Lebensweisen von Sinti und Roma sowie Hassreden, die gegen Sinti und Roma sowie andere Einzelpersonen oder Gruppen gerichtet sind, die zur Zeit des Nationalsozialismus und noch heute als ‚Zigeuner‘ wahrgenommen, stigmatisiert oder verfolgt wurden bzw. werden. Dies führt dazu, dass Sinti und Roma als eine Gruppe vermeintlich Fremder behandelt werden und ihnen eine Reihe negativer Stereotypen und verzerrter Darstellungen zugeordnet wird, die eine bestimmte Form des Rassismus darstellen.“

Für uns als Kirche bedeutet das: jeder Form von Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Alltag entgegenzuwirken – hörend und handelnd. Auf Augenhöhe mit Angehörigen der Minderheiten von Sinti und Roma wollen wir hörend und handelnd der Diskriminierung im Alltag entgegenwirken. Dazu bedarf es der Auseinandersetzung nicht nur mit der Geschichte der Kirchen im Nationalsozialismus, sondern auch mit der bis in die Gegenwart reichenden Schuldgeschichte. Und es bedarf der unbedingten kritischen Überprüfung von kirchlichen Denkmustern und überkommenen Prägungen.

Sie alle wissen: Die Schuldgeschichte der Kirche erstreckt sich auch über die Jahrzehnte nach der Befreiung von Auschwitz, indem begangenes Unrecht und das Leid der Opfer und ihrer Nachkommen nicht wahrgenommen wurden. Dass auch in der Kirche antiziganistische Stereotype unreflektiert weitergetragen, und Menschen dadurch erneut und fortwährend in ihrer Würde verletzt wurden, erfüllt uns mit Scham.

Jeder Mensch wurde geschaffen als ein Ebenbild Gottes, daraus folgt ihre und seine unveräußerliche Würde. Jede Form des Antiziganismus, des Antisemitismus und Rassismus verleugnet die Ebenbildlichkeit Gottes bei einem Teil der Kinder Gottes. Die Gerechtigkeit unter den Menschen gehört zu den wesentlichen biblischen Grundüberzeugungen. Sie sind Wesensmerkmale der Aufgabe der Kirche in dieser Welt.
Dieser grundlegenden Aufgabe ist in der Kirchengeschichte an vielen Stellen zuwidergehandelt und -gedacht worden, so auch gegenüber Sinti und Roma. „Nicht liegt es an dir, das Werk zu vollenden, aber du bist auch nicht frei, von ihm abzulassen“ (Rabbi Tarphon 2,16). So steht es im Talmud.

Nicht ablassen – das gilt uns als Kirche besonders; auch angesichts der unermüdlichen Energie, die von Sinti und Roma aufgebracht wird, und das schon länger als 40 Jahre, in denen der Zentralrat – Gott sei Dank – existiert. Gegen größte Widerstände, mit Hungerstreik und vielen Protestaktionen haben Sinti und Roma es geschafft, das Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft entscheidend zu sensibilisieren; zuletzt mit der von der Bundesregierung beauftragten „Unabhängigen Kommission Antiziganismus“. Seit dem bahnbrechenden Hungerstreik in der Versöhnungskirche in Dachau vor fast 43 Jahren, an dem Sie, lieber Romani Rose, auch teilgenommen haben, sind unsere Beziehungen gewachsen und stärker geworden. Nicht immer nur ging es dabei bergauf. Gleichwohl haben in den letzten Jahren besonders die intensive Arbeit des „Netzwerkes Sinti, Roma, Kirchen“ sowie die Begegnungen von Vertreter*innen des Rates der EKD und des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma eine neue Qualität der Beziehungen geschaffen – und auch für die notwendige Sensibilisierung auf kirchlicher Seite gesorgt. Dafür bin ich sehr dankbar.

Mit der Annahme der IHRA-Definition ist ein weiterer Schritt getan und es soll nicht der letzte sein. Die Evangelische Kirche in Deutschland wird sich deshalb weiter gegen antiziganistische Zerrbilder und für eine inklusive Praxis einsetzen. Auch will sie die institutionelle Partizipation von Sinti und Roma in Politik und Gesellschaft nach Kräften unterstützen, zum Beispiel durch gemeinsame Interventionen in Rundfunkräten.

Das bundesweite „Netzwerk Sinti, Roma, Kirchen“ aus kirchlichen und religiösen Gemeinschaften sowie aus bundesweiten und regionalen Strukturen von Sinti und Roma bleibt dabei ein für die EKD wichtiger Raum für Begegnungen – und für Planungen gemeinsamer Aktivitäten wie den gerade gefeierten Gottesdienst im Dom.

Vielen Dank!