Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland nimmt Stellung zur Debatte um assistierten Suizid
Anlässlich der bevorstehenden Beratungen des Deutschen Bundestags zur Reform der Sterbehilfe nimmt der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wie folgt Stellung:
„Gott ist ein Freund des Lebens“. Unter dieser Überschrift ist die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in den letzten 30 Jahren immer wieder für den Schutz des Lebens eingetreten. Auch in der aktuellen Debatte um eine rechtliche Regulierung der Suizidbeihilfe nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 tritt der Rat der EKD entschieden für den Schutz des Lebens und für rechtliche Regelungen ein, die diesem Ziel dienen.
Ebenso wie für den Schutz des Lebens tritt der Rat der EKD für die Selbstbestimmung des Individuums ein. Auch dieser Aspekt ist ein Teil des von Gott gewollten und geschützten Lebens. Deshalb sind alle rechtlichen Regulierungen auf das Ziel auszurichten, die Freiheit und Verantwortung des Individuums zu stärken und zu schützen. Dazu gehört, dass jedes Einwirken auf die Entscheidung eines Menschen, das ihn zu einem Suizid drängt, und ein entsprechendes gesellschaftliches Klima verhindert bzw. vermieden werden müssen. Gefahrenträchtigen Formen der Suizidbeihilfe gilt es auch rechtlich entgegenzuwirken.
Es darf nicht zur gesellschaftlichen „Normalität“ werden, sich das Leben zu nehmen oder anderen dabei zu helfen. Weder Personen noch Institutionen dürfen zur Suizidbeihilfe verpflichtet werden. Zuerst und vor allem fordert der Rat der EKD substanzielle Verbesserungen bei der Suizidprävention und der palliativen Begleitung von schwer kranken Menschen oder Sterbenden. Willensbekundungen reichen nicht aus. Es braucht gesetzliche und außergesetzliche Regelungen zur Stärkung von Suizidprävention und Palliativmedizin- und pflege, einschließlich der dafür erforderlichen finanziellen Mittel und der Stärkung der Ausbildung in den medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Berufen. Die in aller Regel große Not, die zu einem Suizidwunsch führt, ist ein menschliches Leid, das, wenn irgend möglich, abzuwenden ist.
Zum Schutz des Lebens und zur Achtung vor dem einzelnen Menschen gehört auch, wenn eine Entscheidung für einen assistierten Suizid in einer Grenzsituation getroffen wird, die Umsetzung dieser Entscheidung im Rahmen des Rechts zu ermöglichen, dieser Person vorurteilsfrei zu begegnen und sie seelsorgerlich zu begleiten. Für diese Begleitung steht die evangelische Kirche bereit.
Die Situationen, aus denen heraus Menschen zu dem Wunsch oder der Entscheidung kommen, ihr Leben begleitet zu beenden, sind vielfältig. Oft sind verschiedene Positionen mit unterschiedlichen konkreten Bildern von den Situationen verbunden, mit denen umzugehen ist. Rechtliche Regelungen können diese Vielgestaltigkeit nicht vollständig erfassen. Es ist deshalb darauf zu achten, dass sie Spielraum lassen – gerade aus Achtung vor dem einzelnen Leben –, dem jeweiligen Menschen in seiner individuellen Situation gerecht zu werden.
Für Grenzsituationen des Lebens kann es keine Regelungen geben, die sie einfach und nach allen Seiten befriedigend auflösen. Es bleiben Grenzsituationen, mit denen die Betroffenen selbst und die Menschen, die beruflich oder privat zu ihrem Umfeld gehören, zurechtkommen müssen. Freiheit im christlichen Verständnis ist immer relationale Freiheit, gebunden an die Verantwortung vor dem eigenen Gewissen, vor den Mitmenschen und vor Gott. Dem dient am besten ein stabiles gesellschaftliches Klima, ohne Ausgrenzung oder Vereinsamung und mit den bestmöglichen Unterstützungsangeboten. Am Ende liegt das menschliche Leben in Gottes Hand. Das gilt auch und gerade im Übergang von dem Leben in dieser Zeit zu dem Leben in Gottes Ewigkeit.
Die Stellungnahme des Rates der EKD ist online unter www.ekd.de/suizidbeihilfe abrufbar.
Hannover, 29. Juni 2023
Pressestelle der EKD
Carsten Splitt