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Gegen den Strom – EKD


Das Angebot, junge Deutsche zur Arbeit aufzunehmen, wäre wohl in den Staaten nicht angenommen worden, urteilte der damalige Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Willem Adolf Visser ‘t Hooft, wenn nicht Kreyssig der Anbietende gewesen wäre: „Aber sein Ansehen (…) ist ja unwiderstehlich.“

Dabei war er in seiner Jugend noch weit weg von den Ideen eines Friedensaktivisten: Geboren am 30. Oktober 1898 im sächsischen Flöha als Sohn eines Getreidegroßhändlers, legte Kreyssig mitten im Ersten Weltkrieg ein sogenanntes Notabitur ab und meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst. Nach Kriegsende studierte er Jura in Leipzig, wurde Richter. 1923 heiratete er die Leipziger Kaufmannstochter Johanna Lederer.

Nach 1933 trat er der NSDAP nicht bei – mit der Begründung, als Richter unabhängig bleiben zu wollen. Auch schloss er sich bereits 1934 der NS-kritischen „Bekennenden Kirche“ an, wurde Präses der Synode der Bekennenden Kirche in Sachsen und nahm an der Barmer Bekenntnissynode von 1934 teil, die sich mit der Barmer Theologischen Erklärung von der Vereinnahmung durch das NS-Regime distanzierte.

Mit seiner Versetzung nach Brandenburg/Havel im Jahr 1937 mag Kreyssig schon geahnt haben, dass seine Arbeit als Richter nicht ungefährdet war. Ganz in der Nähe, im havelländischen Hohenferchesar, kaufte er einen Gutshof – und betrieb dort eine biologisch-dynamische Landwirtschaft. Heutzutage ist „bio“ in aller Munde, er war damals einer der Pioniere.

Als er nach seiner Strafanzeige gegen Reichsleiter Bouhler beurlaubt und in den Ruhestand versetzt wurde, entwickelte sich die Feldarbeit neben seinem kirchlichen Engagement zu seiner Hauptbeschäftigung. Seiner christlich-humanistischen Gesinnung folgend, organisierte er in dieser Zeit ein Versteck für die Jüdin Gertrude Prochownik (1884-1981). 2018 wurde er dafür von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zusammen mit seiner Frau posthum als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt.

Nach dem Krieg geriet Kreyssig in Konflikt mit der nun kommunistischen Staatsmacht. Er verlor durch die Bodenreform einen Teil seines Gutshofs, trat wegen der beginnenden Sowjetisierung nicht erneut in den richterlichen Dienst ein und widmete sich stattdessen der kirchlichen Arbeit. 1945 wurde er Konsistorialpräsident, also Leiter des Kirchenamtes, in der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg. Später leitete er viele Jahre lang als Präses die Landessynode.

Der Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung sollte seinen letzten Lebensabschnitt prägen. Kreyssig vertrat die Kirchenprovinz Sachsen 1948 auf der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Amsterdam. Ende der 1950er Jahre zählte er zu den Mitinitiatoren des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“. Von 1949 bis 1961 war er Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

1971 verließen Kreyssig und seine Frau ihren Gutshof in Brandenburg und siedelten zunächst nach West-Berlin, dann nach Bergisch Gladbach in Nordrhein-Westfalen zu einem ihrer Söhne über. Dort starb Kreyssig am 5. Juli 1986. Ganz in der Nähe seines Gutshofs hat er in Hohenferchesar seine letzte Ruhestätte gefunden.

Seit 1999 wird mit einem in Magdeburg gestifteten Lothar-Kreyssig-Friedenspreis an sein Wirken erinnert. 2009 schließlich wurde in der Stadt das Lothar-Kreyssig-Ökumenezentrum der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland errichtet, das sich im Geiste von Kreyssig für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt.

Von Oliver Gierens (epd)

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste