Der Pastor ist erfahrener Stadion-Gänger und kennt sich auch mit dieser Form der Liturgie aus. Doch für ihn gibt es bei Kirche und Fußball noch weitere Gemeinsamkeiten, zum Beispiel die Verbundenheit der Menschen, die demselben Verein anhängen. „Wenn die plötzlich neben einem stehen, man sich vorher noch nie gesehen hat und hinterher wahrscheinlich auch nie wieder sehen wird, gehören wir für diese Zeit trotzdem zusammen. Und wenn ein Tor fällt, umarmen sich alle. Das ist wunderbar!“
Genauso sieht es auch Pastorin Diana Krückmann aus Hanerau-Hademarschen im schleswig-holsteinischen Kreis Rendsburg-Eckernförde. Sie hat selbst lange Fußball gespielt und teilt die Leidenschaft mit ihrer Familie. Auch sie findet diese Form der Liturgie im Stadion wichtig für den Zusammenhalt: „All das, was Hoffnung trägt und Freude macht, verbindet.“ Genau das werde gefeiert. „Es gibt keinen Verein, der keine liturgischen Gesänge hat.“ Selbst wenn der Zuschauer nur wenig Erfahrung hat, könne er diese schnell mitsingen. „Und das ist es, was uns manchmal in unseren Gottesdiensten echt fehlt“, merkt sie an. „Ein ‚Youʼll never walk alone‘ auf der Südtribüne, das vergisst du nicht!“
Klatt und Krückmann sind überzeugt, dass Kirche und Fußball sehr gut zusammenpassen. Denn es gehe um die Liebe und die Leidenschaften, mit denen Menschen ausgestattet sind. Krückmann findet sogar, im Stadion sei das deutlicher spürbar: „Und davon können wir uns als Kirche gerne mal eine Scheibe abschneiden!“ Für sie sei es diese Herzlichkeit, die wie ein „öffentliches Halleluja“ sei, das immer lauter werde.
Das sei ausschlaggebend für die Verbundenheit: gemeinsames Jubeln, Fangesänge und die Leidenschaft für den eigenen Verein. Menschen lasse das sogar über Grenzen hinwegsehen, analysiert Klatt: „Ich glaube, dabei geht es um die Leidenschaft und Zugehörigkeit – mindestens für die Zeit des Spiels.“ Und für viele auch weit darüber hinaus. Krückmann vergleicht das Fan-Gefühl mit Glaube und Kirche: „Im Prinzip ist das wie eine Prozession, wenn man mit 80.000 Leuten vom Hauptbahnhof bis zum Stadion läuft. Und so manche Psalmen singen davon.“
Ab und zu ist auch mal die Rede vom Fußball-Gott. „Dabei geht es vor allem darum, mit den Erfahrungen umzugehen, dass es im Fußball wie sonst auch im Leben schrecklich ungerecht zugehen kann“, erklärt Klatt. „Und dann ist da dieser Wunsch, dass es einen Ausgleich gibt und Gott derjenige ist, der am Ende für Gerechtigkeit sorgt.“
Hoffnung spielt beim Fußball eine große Rolle und der Umgang mit all den Gefühlen, die bei so einem Spiel hochkommen: Freude, Trauer, Glück oder Wut. Das hat weniger mit Aberglaube zu tun. „Dabei ist mir noch nie jemand begegnet, der gesagt hat, er bete zum Fußball-Gott“, berichtet Klatt. „Es ist offenbar nicht möglich, zu ihm in Beziehung zu treten. Dabei ist das das Kostbarste an dem Gott, an den ich glaube, und darum bin ich ja Pastor.“ Krückmann ergänzt: „Außerdem gibt es immer auch einen Verlierer, und an dessen Seite steht Gott natürlich auch.“
Klatt blickt hoffnungsvoll auf diesen Fußball-EM-Sommer: „Vielleicht gelingt ja, was wir 2006 erlebt haben. Dass so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht, das eine große Leichtigkeit und Weite hat, die nicht auf Abgrenzung bedacht sein muss.“