Bonhoeffer ist ein persönlicher Gefangener des NS-Diktators Adolf Hitler. Der Theologe, damals 38 Jahre alt, ist Teil eines Widerstandsnetzwerks, das für mehrere gescheiterte Attentatsversuche auf Hitler verantwortlich ist. Am 19. Dezember, kurz vor Weihnachten, darf Bonhoeffer mit Genehmigung der Gefängnis-Zensur einen Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer schreiben: Ein Blatt Papier – Vorder- und Rückseite sind eng beschrieben. Auf der Rückseite findet sich das siebenstrophige Gedicht, das mit den Worten „Von guten Mächten treu und still umgeben“ beginnt.
Später wurde es dutzendfach vertont – bis heute ist es eines der beliebtesten Kirchenlieder, wie eine Umfrage im Jahr 2021 zeigte. Die Verse finden sich auch oft in Traueranzeigen. Es ist Bonhoeffers Schicksal und sein vor 80 Jahren entstandenes Gedicht, das ihn über die Sphären der Theologie hinaus berühmt gemacht hat.
1906 in Breslau geboren, entwickelt sich Bonhoeffer mit Anfang 20 zum theologischen Überflieger. Er kritisiert das nationalsozialistische Regime von Anfang an für dessen Rassenpolitik, wird Mitglied der Bekennenden Kirche, die sich gegen die Hitler-treuen Deutschen Christen wendet. Die Chance zur Emigration und damit die Rettung seines Lebens bestand 1939: Schon in den USA angekommen, entscheidet er sich schließlich gegen die Pfarrstelle in New York und reist zurück nach Deutschland.
Dank persönlicher Beziehungen arbeitet Bonhoeffer während des Kriegs bis zu seiner Verhaftung für den militärischen Auslandsgeheimdienst im Oberkommando der Wehrmacht. Das schützt ihn vor dem Militärdienst an der Front. Durch seine Arbeit kommt er mit dem militärischen Widerstand gegen Hitler in Kontakt und schließt sich den konspirativen Kreisen an. Erst wenige Wochen vor seiner Verhaftung 1943 hatte Bonhoeffer sich mit der 18 Jahre jüngeren Maria von Wedemeyer verlobt. Kurz vor Kriegsende, die Alliierten sind bereits im Anmarsch, wird er am 9. April 1945 auf Hitlers Befehl im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet.
Der Weihnachtsbrief an seine Verlobte ist eines seiner letzten Zeugnisse aus der Haft. In dem Brief offenbart der prominente Häftling, wie intensiv er geistig Anteil nimmt am Familienleben gerade zur Weihnachtszeit: „Es werden sehr stille Tage in unseren Häusern sein. Aber ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, je stiller es um mich herum geworden ist, desto deutlicher habe ich die Verbindung mit Euch gespürt. Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. So habe ich mich noch keinen Augenblick allein u. verlassen gefühlt“, schreibt Bonhoeffer und weiter: „Es ist ein großes unsichtbares Reich, in dem man lebt u(nd) an dessen Realität man keinen Zweifel hat.“ Seiner Verlobten versichert er: „Du darfst also nicht denken, ich sei unglücklich.“
Die guten, unsichtbaren Mächte, die spürt Bonhoeffer jeden Tag, wie er schreibt. Diese Mächte verbindet er mit den vielen Menschen, die ihn in seinen Gedanken begleiten. So beschreibt es auch der Theologe und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, der eine enge Beziehung zu Bonhoeffers theologischem Werk hat: „Das beschränkt er nicht nur auf die gute Macht Gottes, die ihm nahe ist, sondern auch der Menschen, die ihm lieb und wichtig sind – insbesondere natürlich seine Verlobte, aber auch seine Eltern und seine Geschwister.“
Gedicht und Brief hätten etwas sehr Persönliches, sowohl im Anklang auf seine eigene Situation, als auch im Blick auf die Adressatin, sagt Huber. „Nach der ursprünglichen Vorstellung war es überhaupt nicht das, was daraus geworden ist, nämlich ein Lied in unserem Gesangbuch.“
Zwei Vertonungen sind vor allem als evangelische Kirchenlieder bekannt: Die Vertonung von Otto Abel aus dem Jahr 1959 steht im Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 65. Beliebter ist die von Siegfried Fietz aus dem Jahr 1970, die sich in mehreren regionalen Teilen des Evangelischen Gesangbuchs findet. Laut der Frankfurter Kirchenmusikerin und Chorleiterin Elisabeth Schwarz-Gangel empfinden viele Menschen die Fietz-Melodie als berührender. „Der Satz von Otto Abel gleicht mehr einem klassischen Choral, während Fietz‘ Vertonung poppiger klingt.“ Sie sei heute zu Recht die bekanntere Version.
Für Wolfgang Huber ist das Großartige an Bonhoeffers Text, dass man ihn biografisch verstehen und nachvollziehen kann, „aber zuzüglich alle Freiheit hat, ihn davon zu lösen und auf die eigene Lebenssituation und Lebensgeschichte zu beziehen“. Huber: „Diese Zeilen wirken in sich selbst. Und viele Menschen werden den Hintergrund gar nicht kennen und trotzdem von ihnen ergriffen sein.“