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Laudatio für Saba-Nur Cheema und Meron Mendel zur Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille – EKD


Es gibt Sonntage, an denen wir so tun, als wären wir ,richtig deutsch‘. Das beginnt um 9.30 Uhr beim Bäcker und endet um 20.15 Uhr auf der Couch bei Tatort oder Polizeiruf.“

So der harmlose Anfang, verehrte Anwesende, lieber Erster Bürgermeister, von einer der Kolumnen unseres Preisträger-Ehepaars, ein Kapitel vom „Muslimisch-jüdischen Abendbrot“. Um dann zur Höchstform aufzulaufen, wie nämlich Stereotypen, Alltagsrassismen und der Marginalisierung von gesellschaftlichen Minderheiten entgegenzuwirken sei. Ich stehe bewundernd davor, wie gelassen, analytisch präzise und humorvoll sie dies tun.

Sehr verehrte Saba-Nur Cheema, sehr verehrter Professor Meron Mendel, Ihr heutiger Sonntag wird in jedem Fall ein anderer werden. Ohne Bäckergang am Morgen und ohne Tatort am Abend, aber dafür mit einer Auszeichnung, die wie kaum eine andere für Verständigung steht und für die Versöhnung der Völker und Religionen. Für Dialog, in dem nicht nur herzhaft miteinander, sondern füreinander gestritten wird.

Und so ist es mir eine Ehre und Freude, für Sie die Laudatio halten zu dürfen. Wahrlich nicht selbstverständlich, dass ich dies als lutherische Bischöfin – wenn auch als Bischöfin in einer wunderbaren Hansestadt mit solch imposantem Rathaus – tun darf. Es geht mir persönlich zu Herzen, weil in dieser Ehrung die tiefe abrahamitische Verbindung dreier Religionen zum Tragen kommt. Jüdisch-christliche Zusammenarbeit trifft am Sonntagmittag das muslimisch-jüdische Abendbrot.

Es ist eine höchst besondere Preisverleihung in diesem Jahr, liebe Gäste! In diesen aufgerauten Zeiten und polarisierenden Dynamiken, die unser Land durchschütteln, wird dem jüdisch-muslimischen Dialog die Buber-Rosenzweig-Medaille verliehen!

Ich gratuliere von Herzen Ihnen beiden, die Sie wie kaum ein anderes Gesprächspaar für den feinsinnigen Dialog stehen: klar und klug in der Position, neugierig in der Haltung, herzlich in der Nachfrage und mutig in der Veränderung.

Sie sind für mich – auch übrigens als Vorsitzende des Interreligiösen Forums Hamburg – Vorbild, wie man den Zwischenton trifft, wissend, dass der nicht immer gleich gehört wird; das liegt in den aufgeregten Diskussionen unserer Tage sozusagen in der Natur der Sache. Sie stehen dafür, wie man unbeirrt Verständigung sucht, auch indem man miteinander Meinungen nicht nur austauscht, sondern einander bisweilen zumutet. Interreligiöser, also auch kulturell vielseitiger Dialog ist anspruchsvoll, gerade angesichts all der internationalen Konflikte, die zunehmend mitschwingen, ja so nah rücken, dass sie dominieren. Und die so bitter polarisieren können, dass Freundschaften zersplittern und ganze Familien sich zerstreiten.

Deshalb brauchen wir das Aneinanderreiben, sagen Sie. Nicht die Auseinandersetzung, der Rückzug führt zur Spaltung. Konflikte brauchen Sprache. Den Mut, beim Namen zu nennen, was unausgesprochen schwelt und die Atmosphäre vergiftet. Dialog lohnt sich deshalb jede Minute, sagen Sie; er ist manchmal verblüffend einfach, lehrreich, intensiv, sogar humorvoll und man wird nicht dümmer.

So notwendig ist der Dialog in diesem Land! Schlicht, weil er Wesentliches beitragen kann zum Frieden einer Gesellschaft. Durch Haltung, konkrete Verständigungsorte und Worte. Worte, die Sie beide auf je eigene Art so eminent klug zu setzen wissen, und mit denen Sie vor allem eines bewirken: die Weltwahrnehmung zu schärfen. Sie beide stehen mit ihrer ganzen Bandbreite an Können, Lebenserfahrung, politischer, historischer und pädagogischer Wissenschaft, mit Ihren Talenten und Positionen für das aufrichtige Wort und die Differenzierung darin. Um damit Bildung, ja Herzensbildung zu ermöglichen. Denn vor allem sie vermag es, vor Hass zu schützen und vor Menschenverachtung, vor Antisemitismus und vor Islamfeindlichkeit.

Mich macht es sehr dankbar, dass Sie sich mit Ihren Projekten genau dafür einsetzen: für die Würde und Würdigung jedes einzelnen Menschen, für Achtung, Anstand, Augenmaß. Für die Ermutigung zur Diversitäts- und Fremdheitserfahrung. Sie beide leben das ja gewissermaßen täglich. Mit einer großen Entspanntheit, wie man gestern bei Ihrem gemeinsamen Vortrag erleben konnte – und mit einer großen Liebe zum Unterschied. Unaufgeregt. Neugierig. Mit offenem Herzen, wissend wie sehr Stereotypen das Denken verkleben und eng machen können. Eng, wie Angst.

Mit Ihrem ganzen Engagement drücken Sie aus, dass wir uns an Abendbrottische setzen sollten und nicht das Vertrauen aufs Spiel. Dass wir Begegnung aktiv suchen sollten, um sie auch zu finden! Dass wir Argumente schätzen sollten und der Lüge Hausverbot erteilen. Dass wir Nachbarn sind, und Freundinnen und Liebende werden könnten – oder zumindest Diskutantinnen bleiben. Und dies alles nicht in Relativierung der Unterschiede, sondern im Gegenteil, im Respekt ihnen gegenüber, weil sie einen reich machen, nicht ärmer. Und schon gar nicht ängstlicher.

Da spürt man Ihnen immer den Wunsch ab, vom anderen lernen zu wollen, auch um das Eigene klarer zu sehen und besser zu verstehen. Denn es ist die Erkenntnis, die aus Engherzigkeit befreit. Und es ist die Freiheit, die der Angst die Macht zu nehmen versteht.

Liebe Saba-Nur Cheema, lieber Meron Mendel, Ihr Freimut und Ihr Einsatz für Verständigung treffen den Nerv der Zeit. Werden derzeit aus Verschiedenen doch immer öfter Verfeindete. Wenn es etwa – auch in diesem Land – darum geht, dem Schmerz der Israelis nach dem abgründigen Gewaltakt der Hamas am 7. Oktober 2023 wenigstens annähernd gerecht werden zu wollen, und ebenso dem Schmerz der palästinensischen Bevölkerung, in der im darauf folgenden Krieg Tausende durch Hunger, Unterversorgung oder Bomben umkamen. Es zerreißt einem doch das Herz, die Geiseln zu sehen, wie sie ausgemergelt, verstört, traumatisiert aus den Lastwagen der Hamas steigen, und es zerreißt einem das Herz, die Kinder zu sehen, die in Gaza um Hilfe schreien – in diesem durch den Terror der Hamas ausgelösten Krieg. Beide Seiten erleben so unendlich viel Leid und müssen unfassbare Schmerzen aushalten. Ich kann, wir alle können hier doch allenfalls erahnen, was das wirklich heißt. Gerade auch emotional. Wir können nur erahnen, wie vermutlich in dem großen Schmerz der einen, der Schmerz der anderen derzeit keinen Platz hat und haben kann.

Umso wichtiger, dass Menschen wie Sie immer wieder versuchen mitzufühlen. Die Wut. Die Not. Die Sehnsucht nach Frieden. Einen sicheren Raum zu öffnen für diesen Schmerz, der unsäglich ist. Einen Sprachraum, der die verschiedenen Wahrnehmungen zu fassen versucht. Einen Friedensraum, der Schutz bietet – auch im Streit und für den Streit. Um herauszukommen aus Pauschalisierungen, die sehr verletzen können.

Natürlich kann das nicht immer gelingen. Aber Ihre gemeinsame Kraft an dieser Stelle nicht aufzugeben, ist so ein wichtiges Zeichen der Hoffnung! In einem Land, in ausgerechnet unserem Land, wo Jüdinnen und Juden wieder Angst haben, ihren Glauben zu leben und ihre Identität zu zeigen. Und in diesem Land, wo auch Musliminnen und Muslime täglich erleben, wie sich Hass und Vorurteile anfühlen. Sie beide wissen davon genug. – Lernen wir daraus!

Allemal jetzt. In den derzeit geopolitischen, rasanten Umbrüchen, die sich direkt auf unser Land auswirken. Mit den Irrationalitäten autokratischer Despoten, die alle Regeln menschlichen Anstands, respektvollen Miteinanders und politischer Kompromissarbeit ignorieren. Gemeinschaftliches Handeln, vernunftgeleiteter Diskurs, internationale Abkommen – all dies scheint zu entgleiten im Modus des „me first“. Verbunden mit einem Menschenbild, das dem unserer drei Religionen diametral entgegensteht. Der Mensch ist keine Ware. Der Mensch ist mehr als er leistet, und er ist auch mehr als seine Herkunft, sein Geschlecht und seine Religion. Als Jude, Muslima, Christin … – der Mensch hat von allem Anfang an eine dies alles übersteigende, unverlierbare Würde, die unantastbar, mit unseren Religionen gesprochen: heilig ist. Dies ist unverhandelbar und muss es bleiben!

Und ja, klar, die Zeiten sind unübersichtlich schwierig. Viele suchen nach einfachen Antworten und hoffen, sie in Hassrede und Zuspitzung zu finden. Umso wichtiger ist es, für diese Menschenwürde und gegenseitige Achtung einzustehen, wie Sie, liebe Frau Cheema und lieber Herr Mendel, es konsequent tun. Das menschliche Antlitz zu erkennen, auch und gerade im anderen, sogar im Gegner oder gar im Feind.

Völlig zu Recht wird Ihnen also heute die Buber-Rosenzweig-Medaille verliehen für Ihre kontinuierlich engagierte Arbeit, immer wieder auch gegen Einsprüche. Sie liefern grundlegende Information. Stoßen Bildungsprozesse an. Treten ein für eine Wahrnehmung ohne Scheuklappen. Sensibilisieren für verschiedene Perspektiven und Bedürfnisse. Streiten eben mit Kultur für Achtung vor der Würde eines jeden menschlichen Antlitzes. Sie halten aus, dass Dialog nicht immer Einigkeit heißt und Sie wissen, dass Empathie nicht automatisch Einverständnis bedeutet.

Großer Dank für all dies verbindet sich mit der Auszeichnung heute. Und sie verbindet sich mit Zuversicht, dass weiterwirkt, was Sie tun. Zuversicht! Denn beflügelt, bestärkt und bestätigt durch viele Hoffnungserzählungen unserer heiligen Schriften und vieler anderer humaner menschenfreundlicher Traditionen möge Ihre Haltung, liebe Saba-Nur Cheema und lieber Meron Mendel, Schule machen: den aufrechten Gang zu gehen. Und diesen aufrechten Gang in Zeiten, in denen Leben gefährdet ist, immer wieder zu üben, zu bewahren und zu stärken – das ist die Hoffnung, die diese Zeit braucht. An jedem Sonntag. Und im Alltag sowieso. Ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen zur Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille.