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Wie Luther unser Deutsch bis heute prägt – EKD


Tübingen/Bonn (epd). Heinrich Heine staunte: „Wie Luther zu der Sprache gelangt ist, in der er seine Bibel übersetzte, ist mir bis auf diese Stunde unbegreiflich. Diese Schriftsprache gibt unserem politisch und religiös zerstückelten Deutschland eine literarische Einheit“, schrieb der Dichter im 19. Jahrhundert. Der Bonner Germanist Werner Besch nennt die Lutherbibel gar den „wichtigsten Steuerungsfaktor“ der deutschen Sprachgeschichte. Sie schuf aus einzelnen Dialekten ein verbindendes Medium – vereinte Friesen, Bayern, Sachsen und Schwaben unterm gleichen Wortklang.

Vor mehr als 500 Jahren, im Dezember 1521, begann der Reformator auf der Wartburg mit der Übersetzung des Neuen Testaments vor allem aus dem Griechischen ins Deutsche. Seine Methode? Radikal einfach: Er schaute dem Volk aufs Maul. Martin Luther lauschte der Sprache auf den Märkten, in den Gassen, beim Handwerk – und fragte Knappe und Magd, wie sie sprechen. Die Bibel sollte klingen wie das Leben selbst.
Dass Luthers Sprache bis heute nachhallt, merken viele gar nicht: Sie sagen „ein Stein des Anstoßes“ (1. Petrus 2,8), „das Licht unter den Scheffel stellen“ (Matthäus 5,15), „niemand kann zwei Herren dienen“ (Matthäus 6,24) oder „Perlen vor die Säue werfen“ (Matthäus 7,6) – und benutzen damit Redewendungen, die Luther in die Alltagssprache gesät hat.

Viele Begriffe sind seine Sprachschöpfung: „Morgenland“, „Feuereifer“, „Langmut“, „Lästermaul“, „Lückenbüßer“, „Herzenslust“, „gastfrei“, „frohgemut“, „wetterwendisch“. Sie waren vor Luther unbekannt und prägen seit 1522 das deutsche Vokabular mit. Auch Alltagsformeln wie „sein Herz ausschütten“ (Psalm 62,9), „die Zunge im Zaum halten“ (Jakobus 3,2) und „ein Herz und eine Seele sein“ (Apostelgeschichte 4,32) gehen auf den Reformator zurück.

Für den 2022 gestorbenen Journalisten Wolf Schneider war Luther das Vorbild für Verständlichkeit und Wortkraft schlechthin: Seine Sprache erreiche Laien wie Gelehrte. Schneider empfahl Journalisten und Pfarrern wiederholt, täglich in der Lutherbibel zu lesen, um sich ein Beispiel an deren Sprachstil zu nehmen. Schlichtheit, Bildkraft, Wahrhaftigkeit – darum gehe es. Schneider kritisierte den „akademischen Hochmut“ zahlreicher kirchlicher Verlautbarungen: Worte wie „Apostolizität“ oder „kybernetisch-missionarische Kompetenz“ seien die „Pest“ für eine verständliche Sprache. Luther habe gezeigt, dass sich Schwieriges stets einfach sagen lasse.
 


„Die neue Konfession und ihr Haupttext, die Bibel, sollten alle erreichen. Darum wählte Luther immer landläufige Ausdrucksweisen“, erklärt der Tübinger Rhetorik-Professor Joachim Knape. Seine bildmächtigen Formulierungen gingen ins Ohr und blieben fürs Leben: poetisch und konkret zugleich. Knape schildert, wie das gelang: „Damals las man alles laut, auch wenn man allein war“, sagt der Rhetorik-Professor und fügt hinzu: „Luther kontrollierte damit die Eingängigkeit der deutschen Übersetzung beim Hörlesen.“

Bei modernen Bibelüberarbeitungen fehle oft diese Musikalität, kritisiert der Tübinger Professor: Aus dem knappen „Ärgernis“ (Matthäus 18,7) werden da langatmige, mehrsilbige „Verführungen“. Knape: „Das ist nicht das Produkt eines rhetorisch an seine Hörer denkenden Predigers, sondern es ist ein Produkt modernen, uninspirierten und grauen Philologentums.“ Damit ruiniere man Luthers rhetorische Schlagkraft.

Dass Luther für Generationen zum Sprachlehrer wurde, hat aber noch einen weiteren Grund: Er lebte an der Sprachgrenze zwischen Nord- und Süddeutsch, nutzte die mitteldeutsche Kanzleisprache als Brücke und filterte die bestverstandenen Begriffe heraus. Wer heute im Rheinland Schwester statt Suster sagt oder im Süddeutschen Lippe statt Lefze und Peitsche statt Geißel, folgt dem Standard, den Luther mit seiner Bibelübersetzung schuf.
Seine Übertragung wurde Grundlage der Schriftsprache der Deutschen, durch den Buchdruck bekam sie einen gewaltigen Schub. Goethe und die Brüder Grimm schwärmten: Erst mit Luther bekam das Deutsche literarischen Glanz und Einheit.

Und heute? „Viele Redewendungen gelten als Alltagssprache, ihr Ursprung ist vergessen“, meint Germanist Werner Besch. Gerade Luthers Mischung aus poetischer Sprachgestaltung und Alltagseingängigkeit macht seine Sätze zu Volksgut. Ob „Mit seinen Pfunden wuchern“, „David gegen Goliath“ oder „Hiobsbotschaft“ – Luthers Sprachbilder bieten noch heute für viele Lebenslagen das treffende Wort.