Dabei variieren die Vorgaben in den einzelnen Ländern stark: In Nordrhein-Westfalen dürfen täglich zwei Personen bis zu zwei Stunden ihre pflegebedürftigen Angehörigen besuchen. In Hessen ist ein Besuch nur einmal die Woche für eine Stunde erlaubt. Niedersachsen stellt es den Einrichtungen frei, wie sie Besuche ermöglichen – nur ein Hygienekonzepte zum Schutz der Bewohner muss vorliegen: Abstand, Mund-Nasen-Schutz, Handdesinfektion, manchmal auch Schutzkleidung, alle Besucher werden registriert. Diese Empfehlungen des Robert Koch-Institutes gelten praktisch für alle Einrichtungen. Wie nah man dort seinen engsten Verwandten kommt, ist wiederum vom Heim zu Heim verschieden.
„Besuchsverbote auf die Dauer keine Lösung“
Peter Bremer (Name geändert) hatte sich sehr gefreut, seine 92-jährige Mutter nach langer Zeit direkt sprechen zu können. In dem niedersächsischen Seniorenheim in der Nähe von Osnabrück wurde der Besuch am Muttertag aber nur für 15 Minuten erlaubt, durch ein Fenster zu einem kleinen Vorbau mit einer Plexiglasscheibe. „Da waren wir erst mal erstaunt, und konnten nur kurz mit ihr sprechen“, berichtet er etwas enttäuscht. Auch seine Mutter habe sich gefragt, „wie lange das so noch geht“.
Der BIVA-Pflegeschutzbund bekommt derzeit zahlreiche Anrufe und Mails von Menschen, denen die Lockerungen nicht weit genug gehen. „Es geht ja nicht darum, dass sich die Angehörigen mal wieder blicken lassen“, betont Sprecher David Kröll. Besuche seien notwendig, damit die Heimbewohner seelisch unterstützt werden und Demenzkranke nicht weiter geistig und körperlich abbauen. Zudem unterstützen Angehörige oft die Pflege und übernehmen damit eine gewisse Kontrollfunktion.
Schutzmaßnahmen an den Bedürfnissen der Bewohner orientieren
Gwendolyn Stilling, Pressesprecherin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, hebt hervor, dass „Besuchsverbote auf die Dauer keine Lösung sein können. Wir erfahren täglich aus der Praxis, wie sehr Demenzkranke unter der Isolation leiden.“ Allerdings dürfe man den Infektionsschutz nicht vernachlässigen und damit Leben riskieren. Notwendig seien mehr Tests für Pfleger und Pflegebedürftige sowie Schutzkleidung. Und die für die Besuche notwendigen Schutz- und Hygienekonzepte erforderten „enormen personellen Mehraufwand“.
Dabei müssen sich die Schutzmaßnahmen, betont wiederum David Kröll, an den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner orientieren. „Sehbehinderte, demenziell erkrankte oder bettlägerige Menschen können mit Besuchen hinter Plexiglasscheiben nichts anfangen“, kritisiert er. Dann müsse über andere Lösungen nachgedacht werden – etwa Besuche am Bett mit Schutzkleidung oder großräumige Besuchscontainer, in denen Abstand möglich ist. Für Heimbewohner, die laufen können oder im Rollstuhl sitzen, seien auch gemeinsame Spaziergänge mit Mund- und Nasenschutz denkbar.
Die Mutter von Anna Meyer, die auch an Demenz leidet und schlecht sieht, hat ohnehin nicht verstanden, warum Plexiglas sie und ihre Tochter trennt. Sie hat selber Fakten geschaffen. „Nach fünf Minuten ist sie aufgestanden, an der Scheibe vorbeigelaufen und hat sich neben mich gesetzt“, erzählt Meyer lächelnd. Sie hat ihren Mund-Nasen-Schutz zurechtgerückt, weiter auf 1,5 Meter Abstand geachtet und sich mit ihrer Mutter unterhalten. „Ich hätte sie auch einfach gerne in den Arm genommen, aber das geht wegen des Infektionsrisikos natürlich noch nicht.“
Michael Ruffert (epd)