Kaum hatten wir mit dem #Balkonsingen begonnen, da erreichten mich viele Mails mit weiteren Liedvorschlägen. Eine Liedzeile ist hängen geblieben: „Wenn ich ein Vöglein wär…“ In diesem über 200 Jahre alten Volkslied geht es um einen unglücklichen Sänger, der so gern zu seiner geliebten Frau kommen würde, es aber nicht kann. Warum, wird nicht erzählt. Er könnte es genauso gut heute singen: Paare, getrennt durch Quarantäne, beste Freund*innen weit auseinander wohnend, Familien getrennt durch Reisen zu vor wenigen Wochen noch traumhaften Urlaubszielen. So mancher Traum dreht sich wohl in dieser Zeit darum, wie schön es wäre, in diesen Frühlingstagen die ersten gemeinsamen Stunden im Garten zu verbringen. „Weil’s aber nicht sein kann, bleib ich allhier“, heißt es gleich in der ersten Strophe. Ja, es kann und darf gerade nicht sein. Es ist lange her, dass wir so auf uns selbst zurückgeworfen waren, als Teil der Schöpfung, nicht ihre Krone, sondern be¬herrscht von einem kleinen, unsichtbaren Virus, das in diesen Tagen mächtiger ist als der Mensch.
Und leider können wir nicht fliegen und unsere Natur über-winden.
Auf einmal sind wir angreifbarer Teil der Schöpfung und müssen uns vor unserer eigentlichen Natur, dem Dasein als soziale Wesen, verstecken: vor direkten Kontakten, vor persönlichen Gesprächen und auch vor dem gemeinsamen spontanen Lachen, das manchmal den Alltag aufheitert. Für die meisten von uns ist die digitale Begegnung noch nicht dieselbe wie eine direkte Begegnung. Damit sind wir als Geschöpfe Gottes in unserer Natur angegriffen. Bei allem Schmerz darüber, bei allem was wir gerade darüber lernen, was uns ausmacht und was uns wichtig ist, bin ich dankbar über die letzte Strophe des Liedes, die die Erinnerung an das Wesentliche unseres Wesens wachhält: „Es vergeht kein Stund in der Nacht, da nicht mein Herz erwacht und an dich denkt, dass du mir tausendmal dein Herz geschenkt.“ Wir sind mit anderen Menschen, mit unseren Freunden und Familien verbunden. Die vorübergehende physische Distanz wird das nicht ändern. Zu anderen Zeiten hatten Menschen viel längere Zeiten der Distanz und Unsicherheit – zu anderen Menschen und zu Gott – zu überwinden. Sie haben das geschafft. Auch diese Fähigkeit gehört zum Geschöpf Mensch. Da, wo unsere Herzen sind, ist unser Schatz. Und unsere Schätze werden wir bei aller Sehnsucht auch in Corona-Zeiten nicht aufgeben, da bin ich mir sicher.
Susanne Hasselhoff