Frankfurt a.M. (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, prophezeit gesellschaftliche Veränderungen durch die Folgen der Corona-Pandemie. In einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schreibt er, die Corona-Krise werde „fundamentale Folgen für die sozialpsychologischen, sozialkulturellen und sozialspirituellen Tiefenstrukturen unserer Gesellschaft haben“. Bedford-Strohm äußert sich in dem Beitrag auch zu Vorwürfen gegen die Kirchen, sie hätten in der Krise versagt. Vergangene Woche hatte die ehemalige Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) den Kirchen vorgeworfen, Schwache und Kranke allein gelassen zu haben. Das hatte Widerspruch hervorgerufen.
„Gott schickt kein Virus, um Menschen zu bestrafen“
Bedford-Strohm, der auch bayerischer Landesbischof ist, wandte sich gegen theologische Deutungen, die Corona-Pandemie sei eine Strafe Gottes. Versuche, Gott zu erklären, führten nicht weiter. Das Staunen über Gottes Unbegreiflichkeit gehöre zum Glauben dazu. Aber durch Jesus Christus, in dem sich Gott offenbar thabe, sei deutlich zu sehen, dass Gott kein „Rachedämon“ sei. Er schicke kein Virus, um Menschen zu bestrafen und dazu noch so, dass damit zuallererst die Schwachen und Verletzlichen getroffen würden.
Wer den Glauben ernst nehme, der übe Verantwortung. Die Kirchen und ihre Mitarbeitenden hätten versucht, unter schwierigen Bedingungen ihren Dienst zu tun. „Gerade bei der Seelsorge in Altenheimen und Krankenhäusern war das mit unauflöslichen Zielkonflikten verbunden – zwischen dem dringlichen Wunsch nach größtmöglicher, auch körperlicher Nähe einerseits und der Begrenzung des gerade hier potenziell tödlichen Ansteckungsrisikos andererseits“, schreibt Bedford-Strohm. „In diesen Zielkonflikten Menschen auch etwas schuldig geblieben zu sein, ist eine Last, die wir zu tragen haben und nur in Gottes Hand legen können.“
Grenzen menschlicher Möglichkeiten sehen
Die erste Erkenntnis aus der Krise sei, dass der Mensch trotz materieller und technologischer Möglichkeiten verletzlich sei. Krankheit und Tod seien vor der Krise oft gedanklich in die Krankenhäuser und Altenheime „abgeschoben“ worden. Plötzlich dächten aber alle über Krankenhauskapazitäten, Sterberaten, Ansteckungsrisiken und Trauergottesdienste nach. Aufgabe der Kirche nach der Krise könne es sein, die Grenzen menschlicher Möglichkeiten zu sehen und die Frage nach Gott und damit nach dem Sinn menschlichen Seins neu zu stellen.
Die Krise könne außerdem ein Anlass sein zum Nachdenken, wie die Menschen ihren Lebensstil den Grenzen des Planeten anpassen könnten.
Das Virus als Wegmarke
Hier gibt es den vollständigen Wortlaut des Essays von Heinrich Bedford-Strohm aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 25. Mai als Podcast zum Anhören.
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