Corona-Krise öffnet Blick für existentielle Fragen
Landessynode hat dreitägige ‚hybride‘ Sommertagung begonnen
Stuttgart. Am Donnerstag, 4. Juli 2020 hat die erste ‚hybride‘ Tagung der Evangelischen Württembergischen Landeskirche im Stuttgarter Hospitalhof begonnen. Unter Beachtung von mit dem Gesundheitsamt abgestimmten Infektionsschutzmaßnahmen ist es für die 91 Synodalen und anderen Beteiligten möglich, sowohl vor Ort als auch per Videoschalte an der Tagung teilzunehmen.
In einem Bericht zur Lage nannte Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July als größte Verlierer der Pandemie die ganz Jungen und Alten. Die ganz Jungen die ohne Kita, Schule, Sport und Bewegung sowie Gemeinschaft auskommen mussten sowie Seniorinnen und Senioren, die keine Besuche von Verwandten und Angehörigen bekommen konnten, die Zeit ohne Bewegungsfreiheit und soziale Teilhabe überstehen mussten und oftmals lebten „wie weggesperrt“. „Kirche und Diakonie erheben die Stimme für diese Gruppen besonders laut“, so July. „Ich bin dankbar, dass wir in unserer Landeskirche sowohl in der Seniorenarbeit, in unseren Diakoniestationen und diakonischen Pflegeheimen als auch in der Expertise für die Arbeit mit Kindern und in Kindertagesstätten, mit Jugendlichen und Familien, z. B. in der Jugendhilfe, nachhaltig engagiert und gut aufgestellt sind.“
Die Corona-Krise, so July, „gibt uns als Kirche, als Glaubende, als verantwortlich handelnde Bürgerinnen und Bürgern Impulse“ und öffne den Blick für existentielle Fragen. Er plädierte für „eine neue Demut Gott, dem Leben und der Schöpfung gegenüber. Eine Bescheidenheit, die sich in unserem Umgang mit anderen Menschen und auch unserem Planeten widerspiegelt.“
Gerade in diesen Zeiten sei es auch ein richtiges Zeichen gewesen, dem Verein United4Rescue beizutreten. Dessen Rettungsschiff Sea-Watch 4 wartet pandemiebedingt derzeit noch auf seinen Einsatz im Mittelmeer. Die Landeskirche hat ihre Kirchengemeinden und Mitglieder dazu aufgerufen, das Bündnis durch Spenden und Opfer verstärkt zu unterstützen.
Explizit sprach sich July gegen eine Sonntagsöffnung im Handel aus: „Wir als Kirche werden weiterhin mit Festigkeit dafür einstehen: Der arbeitsfreie Sonntag darf nicht Interessen von Handel und Verkauf geopfert werden. Der Sonntag ist der Schöpfung als Ruhetag gegeben und bleibt uns heilig. Er darf keine Verfügungsmasse der Gesellschaft je nach Kassenlage sein. Die Kirchen haben in dieser Krise sehr viel Solidarität und Verantwortung gezeigt, sie werden aber das Sonntagsgebot nicht zur Disposition stellen.“
Auch zu den deutlich gestiegenen Kirchenaustrittszahlen nahm July Stellung und bezeichnete sie als „bitter und eine ungeheure geistliche Herausforderung, bei der monokausale Erklärungen mit schnellen Lösungsvorschlägen nicht helfen.“ Viele sähen die Verkündigung der Kirche nicht mehr als relevant an. Der Landesbischof kündigte eine Befragung Ausgetretener an, um ihre Gründe und Motive zu erfahren. „Unser Auftrag und unser Ziel bleibt es, Menschen für den Glauben an Jesus Christus zu gewinnen. Sie sollen erfahren, dass Kirche, dass Kirchengemeinden Orte zum Leben sind. So dass sie sagen: Hier gehöre ich hin!“
In der Aussprache zum Bericht wiesen mehrere Synodale auf die schwierige Situation beim Religionsunterricht hin – nach der Öffnung der Schulen sei der Religionsunterricht vielerorts von den Stundenplänen verschwunden.
Über die verschiedenen Gruppierungen in der Synode hinweg wurde Kritik daran laut, dass Abendmahlsfeiern noch nicht wieder möglich sind. Die in der Krisenzeit entstandenen digitalen Netzwerke wurden ebenso hervorgehoben wie der Aufruf, sich deutlicher gesellschaftlich einzumischen. Die Kirche habe die richtigen politischen Botschaften, aber müsse dafür selbstbewusster eintreten.
Im weiteren Verlauf der Tagung debattieren die Synodalen über ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe, über die Mittelfristige Finanzplanung sowie die Strategische Planung der Landeskirche und in einer ‚Aktuellen Stunde‘ über „Auswirkungen der derzeitigen aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen auf die Situation von Kindern, Jugendlichen, Familien und Menschen in prekären Lebensverhältnissen.“
Die erste Tagung der Landessynode nach ihrer Konstituierung im Februar findet unter besonderen Arbeitsbedingungen statt. Die Synodalen sitzen über zwei Räume verteilt an 1,5 Meter auseinanderstehenden Tischen, manche nehmen per Videoschalte von zuhause teil. Zuschauerinnen und Zuschauer sitzen nicht wie üblich auf der Empore des Tagungsraumes, sondern können der Synode per Übertragung in einem Zelt im Innenhof des Hospitalhofs beiwohnen. Die Synode tagt bis einschließlich Samstag, 4. Juli.
Oliver Hoesch
Sprecher der Landeskirche
Hinweis: Unsere aktuelle Berichterstattung zur Tagung der Landessynode sowie den Livestream und Dokumente finden Sie hier, die Tagesordnung hier.