EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm auf dem Treffen der europäischen Religionsführer in Brüssel
Erstmals in der Amtszeit der neuen EU-Kommission kamen heute europäische Religionsführer auf Einladung von EU-Kommissions-Vize-Präsident Margaritis Schinas zu einem Austausch zusammen. Der griechische Kommissar ist im Kabinett von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für den Dialog mit den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zuständig. Im Mittelpunkt der Videokonferenz standen Gespräche mit christlichen, jüdischen und muslimischen Religionsvertretern über die „europäische Art zu leben“ vor dem Hintergrund der Herausforderungen durch die Covid-19-Pandemie, islamistischen Terror und die anhaltende Debatte um eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik. Die Evangelische Kirche in Deutschland wurde durch den Vorsitzenden des Rates, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, vertreten.
Der Ratsvorsitzende betonte bei dem Treffen, dass die Pandemie uns allen unsere Verletzlichkeit vor Augen führe. Wir müssten anerkennen, dass wir mit unseren materiellen und technischen Ressourcen nicht alle Probleme lösen könnten. Der christliche Glaube aber habe die Kraft, die Herausforderungen der Corona-Krise zu bewältigen, so Bedford-Strohm. Die Beziehung zu Gott und das Vertrauen auf Christus helfe, die lähmende Angst zu überwinden. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union seien wirtschaftlich stark von der Pandemie getroffen, soziale Spannungen und gesellschaftliche Spaltungen drohten sich zu vertiefen. Hier sehe er die Aufgabe der Kirche, für den Zusammenhalt der Gesellschaft einzustehen. Dabei sei es der wichtigste Beitrag der Kirche, in einer von der Pandemie verwundeten Gesellschaft die „heilende Liebe Gottes“ auszustrahlen.
Schließlich mahnte er an, dass Europa in der Pandemie die Schwächsten nicht aus dem Blick verlieren dürfe. Die Goldene Regel Jesu, die für alle Menschen guten Willens einsehbar sei, gebe eine gute Grundlage für die Solidarität mit den besonders von der Krise Getroffenen: „Alles was Ihr wollt, dass Euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch.“
Im Angesicht der furchtbaren islamistischen Terroranschläge der jüngeren Vergangenheit hob der Ratsvorsitzende hervor: „Solche feigen Anschläge sind durch keine Religion zu rechtfertigen: Terror ist Gotteslästerung“. Er unterstrich, dass die EKD ihre muslimischen Gesprächspartner bei ihren vielfältigen Bemühungen um die Förderung eines friedlichen Islams in Deutschland unterstütze. Die EKD selbst werde in ihren Bemühungen um Integration nicht nachlassen, auch um der Radikalisierung vorzubeugen.
Er begrüßte ferner die Bemühungen der EU-Kommission, mit ihrem Vorschlag für ein neues Migrations- und Asylpaket wieder neuen Schwung in die festgefahrene Debatte der EU-Mitgliedsstaaten um eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik zu bringen. Allerdings kritisierte er eine Tendenz, einseitig die Abwehr von Flüchtlingen zu betonen. Alle Asylsuchenden hätten einen Anspruch auf individuelle Prüfung ihrer Asylberechtigung.
Daneben begrüßte er den Fokus der EU-Kommission, beim Thema Seenotrettung künftig eine stärkere Koordination unter den Mitgliedsstaaten zu erreichen und der Kriminalisierung von Nichtregierungsorganisationen Einhalt zu gebieten. Nichtsdestotrotz seien aktuell einige zivile Seenotrettungsschiffe, u. a. die „Sea Watch 4 – powered by United4Rescue“, in europäischen Häfen willkürlich festgesetzt worden. „Nutzen Sie den politischen Einfluss der EU-Kommission auf die Mitgliedsstaaten, diese Schiffe freizugeben“, appellierte Bedford-Strohm an den Vize-Präsidenten.
Die Leiterin der Brüsseler EKD-Vertretung, Katrin Hatzinger, unterstrich in diesem Zusammenhang, dass Seenotrettung eine staatliche Aufgabe sei und dementsprechend von der EU-Kommission erwartet werde, sich für die Wiederaufnahme einer zwischenstaatlichen Seenotrettungsmission einzusetzen.
Hintergrund:
Um die Bedeutung des Dialogs mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften zu betonen, hatte der damalige Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, 2005 erstmals hochrangige Vertreter der Religionen in Europa zu einem „High-level meeting with religious leaders“ eingeladen. Seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gehört der Dialog mit den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zum Primärvertragsrecht der EU.
Hannover/Brüssel, 27. November 2020
Pressestelle der EKD
Carsten Splitt