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„Wir sind kein Streichelzoo“ – EKD


Vor der Zertifizierung 1993 stand eine zweijährige Vorbereitungszeit. Zum Ackerbau kam die Tierhaltung dazu. Handarbeit statt großer Maschinen, Un­krautjäten statt Chemie sowie die Vielseitigkeit ei­ner Kreislauf-Wirtschaft statt der Spezialisierung auf einen Bereich. Heute bewirt­schaften 50 Menschen mit Behinderungen und 14 Mitarbeiter:innen 155 Hektar Ackerland und 78 Hektar Dauergrünland, bauen verschiedene Sorten Spei­sekartoffeln an, halten 180 Mastschweine, 460 Le­gehennen, 42 Mastrinder und 58 Mastbullen.

Doch die persönlichen Entwicklungen hinter den Kennzahlen sind die eigentli­chen Erfolgsgeschichten. „Es fasziniert und moti­viert mich immer wieder, welche Wendungen Bio­grafien nehmen, wie Menschen mit ihren Aufgaben wachsen“, sagt Frank Radu. Viele Klient:innen haben Phasen mit Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit, Schulden und Alkoholmissbrauch hinter sich. „Die Arbeit im Team, im Einklang von Mensch und Na­tur, mit hochwertigen Arbeitsergebnissen – das macht etwas mit den Menschen. Jeder kriegt hier seine zweite Chance. Auch, wenn die Arbeit mitunter anstrengend ist. Wir sind kein Streichelzoo. Bei uns ist die Landwirtschaft real.“

Dazu gehört auch der Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels. Radu sitzt für die Delegiertenversammlung von Bioland in der Arbeitsgruppe Biodiversität. „Ökolandbau begrenzt sich nicht nur auf Wirtschaftlichkeit, auch die Biodiversität um die Äcker drumherum gehört für mich dazu. Wir haben Wegbe­pflanzungen an den Feldwegen vorgenommen, erosionsgefährdete Flächen vom Ackerland zu Grünflächen gemacht, auch wenn wir es nicht gemusst hätten.“ Freiwillig erbringen Klient:innen und Mitarbeiter:innen des Hofguts naturschutzfachliche Dienstleis­tungen für das Forstamt, wie die Pflege eines Biotops. „Ich sehe uns da in der Ver­antwortung, mit gutem Beispiel voranzugehen.“

Deswegen gibt das Team des Bio-Hofguts als „Demonstrationsbetrieb Ökolandbau“ sein Wissen gerne weiter. Besuche von Studierenden der Uni Witzenhausen, der Veterinärmedizin Gie­ßen, des Bauernverbandes, von Kindergärten, Schulen, ausländischen Gästen und sogar Sterneköch:innen sind Alltag. Dank all dem ist die Skepsis der Anfangsjahre der Anerkennung gewichen. Frank Radu: „Vieles braucht seine Zeit, die Menschen, die Na­tur. Ich bin stolz, was wir hier erreicht haben, und sehr dankbar.“

Von Melanie Schmitt


Hintergrund: Das Bio-Hofgut Richerode ist einer von vier landwirtschaftlichen Bioland-Standorten Hephatas. Ebenfalls nach Bioland zer­tifiziert ist der Hephata-Metzger „Alsfelder Biofleisch“. Die fünf Einrichtungen gehören zum Hephata-Geschäftsbereich Soziale Rehabilitation und sind anerkannte Werkstätten für Menschen mit Behin­derungen. Insgesamt arbeiten hier rund 200 Menschen mit und ohne Behinderungen. Die fünf Standorte bilden eine Be­triebskette, in der auch die Produkte von an­deren Bio-Landwirtschaften verarbeitet, verpackt und verkauft werden.