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Junge Gemeinde am Puls – EKD


Marburg. Unpassender hätte der Zeitpunkt für eine Gemeindegründung kaum sein können. „Wir hatten gerade unseren ersten Gottesdienst gefeiert, da kam der Lockdown“, erzählt Hans Christian Graß. Doch mittlerweile zähle das kirchliche Start-Up „UND Marburg“ mehr als 350 Mitwirkende und Teilnehmende, so der Erzieher und Theologe. „Das ist total schön zu erleben.“

Anfang 2020 löste sich die Initiativgruppe von einer bekannten größeren Freikirche in Marburg. „Wir wollten etwas Neues ausprobieren, Gemeinde näher an den Puls bringen und theologisch weiterdenken“, sagt der 39-jährige verheiratete Familienvater. „Es ging uns nicht nur um neue Gottesdienstformate, sondern um neue Orte zur Begegnung und die Sichtbarkeit von Kirche insgesamt. Wir wollen dahin, wo die Leute ihre Freizeit verbringen und damit Kirche zu den Menschen bringen.“

Doch wie entsteht eine Gemeinde, wenn interessante Orte wegen der Pandemie geschlossen und persönliche Begegnungen kaum möglich sind?

Bei „UND Marburg“ treffen sich junge Familien mit Kindern

„Viele Gemeinden entwickelten damals gerade ein Online-Setup und begannen, ihre Gottesdienste zu streamen. Davon haben wir viele Ideen.“ Auch „UND Marburg“ ging ins Internet und probierte aus. Schon bald gesellten sich zu den Online-Gottesdiensten auch Gebetstreffen und Begegnungen per Zoom. „Wir wollten ein gutes Grundgefühl vermitteln, Impulse geben und Halt.“

Das kam an. Mehr und mehr Menschen wurden auf die neue Glaubens-Initiative aufmerksam. Für weiteren Schub sorgte „Communi“, eine digitale Informations- und Kontaktbörse für Vereine, Organisationen und Gemeinden. Mit Hilfe dieser App können sich neue Mitglieder vorstellen, Infos austauschen oder wie mit einem Zettel an einem „Schwarzen Brett“ um Unterstützung bitten. Das machte es leichter, auch über Entfernungen Kontakte zu knüpfen. „Es entstand schnell viel Kommunikation“, erzählt Graß. Und zum anfangs überschaubaren Freundes-Kreis gesellten sich bald Freunde von Freunden und Bekannte aus dem Umfeld, auch Familien mit Kindern. „Im ersten Jahr waren wir schon 100 Leute.“ Darunter seien auch viele gewesen, die mit Kirche bisher wenig anzufangen wussten.

Die kleine Gemeinde feiert Gottesdienste auf dem Sportplatz

Wann immer es ging, zog es die kleine Gemeinde hinaus ins Freie. Sie feierte Kinderkirche auf einem Spielplatz in Marburg, als es wegen Corona noch wenige Begegnungsmöglichkeiten gab. Schließlich ging es der christlichen Gruppierung um Sichtbarkeit. „Wir haben den Bollerwagen mit Spielzeug vollgepackt und sind losgezogen. Da sind dann automatisch Leute dazugekommen“, sagt Graß, der erst als Erzieher und Jugendreferent in Gemeinden gearbeitet hat, bevor er an der CVJM-Hochschule in Kassel Theologie und Soziale Arbeit studiert hat.

Ab 2021 begann „UND Marburg“ seine Gottesdienste alle zwei Wochen auf Sport- und Grillplätzen zu feiern. „Wir hatten Picknick-Decken dabei. Das war ein familiäres Setting“, sagt Graß rückblickend. Für die Gottesdienste, die immer noch im Internet übertragen wurden, hatte die Gruppe in der Zwischenzeit ein Studio mit Kameras, Licht-, Ton- und Videotechnik in einer Lagerhalle eingerichtet.

Die junge Gemeinde wuchs und professionalisierte sich

Mitte 2022 wurden „echte“ Begegnungen wieder leichter, „UND Marburg“ wuchs und professionalisierte sich weiter: Die Gemeinde siedelte mit ihren Gottesdiensten in den „Lokschuppen Marburg“ über, einem neuen Kulturtreff in der Universitätsstadt. „30 bis 40 Mitarbeitende sorgen seitdem für einen reibungslosen Ablauf der Gottesdienste, die wir seit September auch vor Ort feiern“, sagt Graß. Auf der vier Mal 13 Meter großen Bühne müsse geprobt werden, wo die Kameras stehen und ob der Sound stimme. Auch er habe sich an die große Bühne erst gewöhnen müssen. Als Mit-Produzent der Gottesdienste und einer der Prediger wolle er schließlich authentisch sein.

Alle sollen sich gut aufgenommen fühlen

Vor Ort sind laut Graß mittlerweile rund 250 Menschen dabei und mehr als 70 würden den Stream verfolgen. Mittlerweile ist „UND Marburg“ sogar Teil der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck, Graß offiziell Prädikant. Die Landeskirche und die EKD würden die Initiative, die auf Spenden angewiesen ist, mit Zuschüssen fördern. Es sind vor allem die hybriden Gottesdienste mit ihrer Verschmelzung der analogen und digitalen Welt, die die junge Gemeinde zu einer Ausnahmeerscheinung in der Landeskirche machen.

Die Form ist immer wieder geprägt von Experimenten. „Wir wollen, dass sich alle gut aufgenommen fühlen“, so Graß. Vor Beginn des Gottesdienstes könne man Kaffee trinken oder auf einer Spielekonsole spielen. An die Internetgemeinde würden LED-Lichter erinnern. Es gehe insgesamt locker zu. „Wir wollen einen stressfreien Sonntag.“ Neben Pop-Musik, Gebeten und der Predigt gebe es Interviews, kleine Theaterstücke und Videos. „Es soll nicht statisch oder pastoral sein. Da probieren wir viel aus.“ Für die Kinder und interessierte Eltern gibt es mit „kunterbunt“ parallel einen extra Kindergottesdienst.

Während der Predigt Kaffee trinken und kreativ werden

Wert legt das Team bei „UND Marburg“ auch darauf, dass die Teilnehmenden während der Gottesdienste auf das Gehörte reagieren können. „Uns geht es um Resonanz“, betont Graß. So könnten sich die Teilnehmenden zwischendurch zurückziehen, umhergehen, nachdenken oder kreativ werden und malen oder einfach einen Kaffee trinken, wenn ihnen danach sei. Im Anschluss seien alle zu einem Büffet eingeladen.

Im Wechsel zu den Gottesdiensten gebe es „Community-Sonntage“, öffentliche Angebote in kleineren Gruppen, erzählt Graß. „Das reicht vom Brunch bis zum Brotbacken und Filmgucken. Denn auch das ist Kirche.“
 

Angebote von „UND Marburg“

Infos über die Gemeinde-App 


Die Evangelische Kirche in Deutschland unterstützt innovative digitale Projekte und will damit den Wandel der Kirche hin zu mehr digitalen Angeboten fördern. Dazu gibt es den Digital-Innovationsfonds, der eine Million Euro umfasst. Weitere innovative Projekte, aber auch Informationen zur Antragsstellung finden Sie auf der EKD-Seite zum Fonds.