Ende des vergangenen Jahres wurde die AfD in Sachsen als rechtsextrem eingestuft. Was heißt das für die Zivilgesellschaft?
Zu den bevorstehenden Wahlen ist die Zivilgesellschaft aufgefordert, sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu engagieren. Es ist uns Christinnen und Christen nicht egal, in welcher Gesellschaft wir leben. Das ist ein wesentlicher Grund für das Engagement der Kirche.
Wie kann das kirchliche Engagement konkret aussehen?
Wir planen für das kommende Wahljahr Aktionen auf verschiedenen Ebenen. Kirchgemeinden werden sich engagieren, Werke und Einrichtungen sich zu Wort melden. Wir werden auch auf Landesebene Wortmeldungen zur Wahl haben und das mit Aktionen verknüpfen, wahrscheinlich mehr und deutlicher als bei bisherigen Wahlen. Wir sind dazu auch in Abstimmung mit der katholischen Kirche.
Wie geht die sächsische Landeskirche mit AfD-Mitgliedern in kirchlichen Ämtern und Vorständen um, sofern sie um die Mitgliedschaft weiß?
Wir haben bei uns in der Landeskirche kein Kontrollsystem, ob Menschen einer Partei angehören. Prinzipiell sind wir mit Gesinnungsüberprüfungen vorsichtig. Allerdings brauchen wir auf allen Ebenen eine Debatte darüber, wie sich christlicher Glaube zur AfD verhält. Es muss ausgesprochen werden, dass die Wahl der AfD nicht empfohlen werden kann. Es muss auch über Parteizugehörigkeit diskutiert werden: Es kann nicht unwidersprochen sein, dass Christinnen und Christen AfD-Mitglieder sind.
Was raten Sie Kirchgemeinden, die mit solchen Fällen konfrontiert sind?
Es muss dort, wo Fälle bekannt sind, darüber gesprochen werden. Die auf der Hand liegenden Widersprüche müssen aufgedeckt werden. Es hilft eher wenig, wenn wir als Kirche auf Landesebene Vorgaben machen, wie Kirchgemeinden auf AfD-Mitgliedschaften zu reagieren haben. Vielmehr muss vor Ort für Klarheit gesorgt werden. Politische Anweisungen den Gemeinden und Gläubigen gegenüber halte ich nicht für wirksam.
Auf der vergangenen Herbsttagung der sächsischen Synode wurde das Thema sexualisierte Gewalt stark thematisiert. Wie weit ist die Landeskirche in der Aufarbeitung bisher gekommen?
Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt ist eine Daueraufgabe. Die sächsische Landeskirche kommt mit dieser Aufgabe Schritt für Schritt voran. Das heißt auch, dass wir unsere Schutzkonzepte in den Gemeinden und Einrichtungen nach und nach aufsetzen und dass die Aufarbeitungskommissionen sich professionalisieren. Wir müssen bei diesem Thema handlungsfähig sein und werden. Der Kontakt mit Betroffenen hält uns die Größe des Problems immer neu vor Augen. Für mich ganz persönlich heißt dies, dass alles, was wir in der Aufarbeitung tun, in einem engen Kontakt mit Betroffenen erfolgen muss. Es wird eine neue Aufarbeitungskommission in diesem Jahr geben – wenn die Forum-Studie im Januar öffentlich geworden ist. Die bisherige Anerkennungskommission der Landeskirche hat gut gearbeitet. Für das, was kommt, brauchen wir einen Neuaufschlag. Er wird den Maßstäben entsprechen, die wir inzwischen in den evangelischen Kirchen bundesweit festgelegt haben. Betroffenenbeteiligung und die Beteiligung unabhängiger Fachpersonen werden eine größere Rolle spielen.
Es wird der Landeskirche unter anderem von Betroffenen immer wieder vorgeworfen, dass sie beim Thema Aufarbeitung nicht proaktiv agiert. Was sagen Sie dazu?
Die Kirche wird dann aktiv, wenn irgendwo ein Verdacht auf sexuellen Missbrauch bekannt wird oder in der Luft liegt. Proaktiv sein bedeutet, dass dann Schritte gegangen werden, und das tun wir. Das heißt nachfragen, Kontakte zu Betroffenen aufbauen und dazu aufrufen, dass sich betroffene Menschen oder Mitwissende melden. Ein allgemeiner Aufruf ins Land ohne konkreten Hintergrund ist wenig wirksam. Wir handeln im Verdachtsfall und bringen gleichzeitig die Prävention sowie die Aufarbeitung der bekannten Fälle voran.
Geht Ihnen der Prozess der Aufarbeitung schnell genug?
Ich nehme schon wahr, dass es den Betroffenen zu langsam geht. Das spornt uns als Kirche an und fordert uns heraus, aktiv zu sein. Aber es kommt gerade bei diesem Thema auf Gründlichkeit an. Wir wollen angemessen, professionell und mit den Betroffenen zusammen die Aufarbeitung voranbringen. Wenn Schnelligkeit dazu führt, dass Menschen denken, man könne das Problem schnell beseitigen, dann glaube ich, dass Schnelligkeit nicht der richtige Weg ist.
Warum hat der Beginn der Aufarbeitung so lange gedauert?
Ich kann nur von der Zeit sprechen, in der ich als Bischof in kirchlicher Verantwortung bin, seit Frühjahr 2020. In dieser Zeit haben sich nach meiner Wahrnehmung zunächst die Fälle von Pobershau im Erzgebirge nach vorn geschoben. Ich dachte, man könnte Missbrauchsfälle nacheinander aufarbeiten. Inzwischen weiß ich, dass vergehende Zeit, in der scheinbar nichts passiert, für die Betroffenen eine schlimme Zeit ist.
Was möchten Sie als Bischof bei dem Thema erreichen?
Natürlich haben wir den Wunsch, dass unsere Gemeinden und Einrichtungen sogenannte sichere Räume sind. Menschen sollen zu uns kommen können und keine Gewalterfahrung befürchten müssen. Dass wir als Kirche in absehbarer Zeit alles dafür getan haben, dass diese sicheren Räume entstehen, das ist schon ein wesentlicher Wunsch, den ich habe. Ich wünsche mir auch, dass Betroffene eine Veränderung in ihrem Leben erfahren und dass Kirche ihr Leiden anerkennt sowie nach Möglichkeit lindert.
Rechnen Sie mit dem Bekanntwerden weiterer Fälle?
Ich gehe davon aus, dass Menschen durch unser Handeln ermutigt werden und – in dem Maße, wie Aufarbeitung zu einem normalen Vorgang wird – nicht mehr zögern, sich mit ihrer Gewalterfahrung zu offenbaren.
epd-Gespräch: Katharina Rögner