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„Für unser soziales Miteinander sind die Maßnahmen verheerend“ – EKD


Wie ist noch Seelsorge möglich, wenn die Kontaktbeschränkungen weiter verschärft werden?

Kurschus: Das ist ein ganz schwieriger Punkt. Wir haben in den vergangenen Wochen erlebt, wie Seelsorgerinnen und Seelsorger sich trotz der Beschränkungen mit aller gebotenen Umsicht zu den Menschen aufgemacht haben, die ihrer Nähe dringend bedurften. Wo dies nicht möglich war, haben Seelsorgerinnen und Seelsorger andere Formen und Wege des Kontakts gefunden: Briefeschreiben, Telefonieren, manche haben sich in den Garten gestellt und Lieder gesungen und die Botschaft der Hoffnung und des Trostes weitergesagt. Ich glaube, dass sich die Menschen, denen die Fürsorge galt, auch über diese Zeichen gefreut haben, so unzureichend sie auch sein mögen. Was auf jeden Fall klar ist: Wenn es ans Sterben geht, dürfen wir keinen einzigen Menschen allein lassen. Ich halte es für unverantwortlich, Menschen in elender Einsamkeit ihren letzten Weg gehen zu lassen. Wir müssen alles tun, damit das nicht geschieht. Es sollte wenigstens möglich sein, die Hand eines Menschen zu halten, auch wenn es mit einem Schutzanzug sein muss.

Rechnen Sie weiterhin mit Akzeptanz der Auflage in der Bevölkerung und haben Sie Verständnis für Proteste gegen die Auflagen?

Kurschus: Wir haben jetzt alle die Pflicht, uns umeinander zu kümmern und eigene Kontakte einzuschränken. Ich kann aber nachvollziehen, dass Menschen zunehmend überfordert sind und die Maßnahmen nicht mehr ertragen. Manche sind am Rande ihrer Nervenkraft, fühlen sich eingesperrt und halten nicht mehr aus, dass sie nicht tun dürfen, was sie gerne wollen und wonach sie sich sehnen. Das ist für mich allerdings mehr eine seelsorgliche Herausforderung als eine ideologische Frage. Deshalb kann ich Demonstrationen nicht nachvollziehen, bei denen die Gefährlichkeit des Virus geleugnet wird und die Maßnahmen gegen die Ausbreitung als überzogene Reaktion eines autoritären Staates dargestellt werden. Eine solche Haltung ist gefährlich.

Sie haben in Ihrem Bericht die Äußerung als vorschnell bezeichnet, die Corona-Pandemie sei keine Strafe Gottes. Halten Sie das denn für möglich?

Kurschus: Ich wollte damit sagen, dass wir Gott nicht in die Karten schauen und wissen können, wie er handelt und warum. Ich glaube, dass Gott diese Welt erschaffen hat und dass all sein Handeln in dieser Welt uns am Ende zum Heil dienen wird. Aber wie diese Wege des göttlichen Handelns aussehen, darüber erlaube ich mir kein Urteil. Es ist zu einfach zu behaupten: Wo Gott ist, da ist Licht und Friede und da werden alle Menschen heil. Ist dann also Gott dort nicht, wo Dunkel und Unfriede und Unheil herrschen? Ausgesperrt ausgerechnet da, wo wir ihn am nötigsten brauchen? Diese Fragen muss mein Glaube aushalten. Und mitten im bangen Fragen bin ich doch gewiss, dass Gott uns nicht dem Bösen überlässt – immerhin hat er den letzten und stärksten Feind, den Tod, mit dem Leben bezwungen.

epd-Gespräch: Ingo Lehnick