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“Knallharte Existenzängste” unter Schaustellern – EKD


Dieter Sell (epd) im Gespräch mit dem Schausteller-Seelsorger Torsten Heinrich

Hannover (epd). Mit der Absage des Oktoberfestes in München breiten sich nach Beobachtung des evangelischen Schausteller-Seelsorgers Torsten Heinrich in der Szene „knallharte Existenzängste“ aus. „Das Wahrzeichen aller Volksfeste findet nicht statt – da gibt es die Befürchtung, dass auch alle anderen Volksfeste in diesem Jahr abgesagt werden“, sagte Heinrich dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Ich habe jeden Tag Anrufe, in denen mir Familien echte Notsituationen schildern, weil kein Geld mehr da ist.“ Heinrich (57) ist seit sechs Jahren im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bundesweit als Zirkus- und Schausteller-Seelsorger unterwegs.

Nachdem überall schon die Frühlingsfeste gestrichen worden seien, um die Corona-Pandemie einzudämmen, sei die Münchner Entscheidung nun „ein Tiefschlag”, sagte Heinrich. „Die letzten Einnahmen hatten die Schausteller auf den Weihnachtsmärkten, jetzt sollte die Saison losgehen, erstes Geld reinkommen, alles war startklar.” Schon seien vielerorts die letzten Rücklagen aufgebraucht. „Die Einnahmen sind auf null – und das geht jetzt in eine unheimliche Länge.” Angesichts teils riesiger Kredite für die Fahrgeschäfte fragten sich viele Familien, wie lange Händler und Banken noch still hielten.

„Prinzipiell sind die Schausteller keine Miesepeter, sondern erfinderische Optimisten”, betonte Heinrich. So hätten die Schausteller zu Beginn der Krise Zugmaschinen, Toilettenwagen, Absperrzäune und Kranwagen unter anderem dem Technischen Hilfswerk zur Unterstützung angeboten. Mancherorts seien sie mit ihren großen mechanischen Orgeln vor Altenheime gefahren, „um mit gebotenem Abstand das zu tun, was sie gerne tun: den Leuten eine Freude bereiten”.

Doch nun seien viele geschockt. Heinrich sagte, er unterstütze unter anderem bei Online-Anträgen für Liquiditätshilfen und in Einzelfällen mit Geld aus einem Notfonds der Schausteller-Seelsorge, um Lebensmittel zu kaufen. Die Schausteller warnten davor, die Absage des Oktoberfestes vorschnell als Indikator für alle anderen Feste zu nehmen. „Sie fordern, dass die Politik abwartet, wie sich die Krise entwickelt und mit Blick auf die Volksfeste auf Sicht fährt.” Auf jeden Fall müsse die staatliche Unterstützung ausgeweitet werden, um viele Familien vor dem Ruin zu bewahren.

„Die Volksfeste sind ein ganz besonderer Teil der deutschen Kultur”, bekräftigte Heinrich. „Und jetzt ist die Gefahr groß, dass diese Kultur sehr stark beschädigt wird, wenn der Staat nicht noch einmal nachlegt, was finanzielle Hilfen angeht.”

Zur Gemeinde der evangelischen Zirkus- und Schausteller-Seelsorge zählen bundesweit etwa 23.000 Schausteller, Artisten und auch Puppenspieler. Es gibt etwa 5.000 Schaustellerfamilien, außerdem noch 300 kleine Familien-Zirkusse, dazu noch Puppenbühnen. Der Deutsche Schaustellerbund geht von jährlich bundesweit etwa 10.000 kleineren und größeren Volksfesten aus. Viele davon haben ihren Ursprung in Kirchweih-Festen.

Circus- und Schaustellerseelsorge der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Deutscher Schaustellerbund – Forderungspapier des Deutschen Schaustellerbundes 

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