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„Ich spüre einen Veränderungswillen hin zu einer Kirche, die auch mit weniger Mitgliedern ausstrahlungsstark ist“ – EKD


In Ihre Amtszeit fallen neben den Strukturveränderungen auch die Fluchtbewegung 2015 sowie die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt. Was hat sie am meisten gefordert?

Bedford-Strohm: Im Sinne einer emotionalen Forderung ganz sicher das Thema sexualisierte Gewalt. Es ist jedes Mal wieder unfassbar, wenn ich Betroffenen gegenübersitze und höre, was ihnen angetan worden ist.

Betroffene werfen der evangelischen Kirche immer wieder vor, es mit der Aufarbeitung nicht ernst zu meinen. Wie wollen Sie das Gegenteil beweisen?

Bedford-Strohm: Wir lernen zunächst aus der Kritik. Dazu gehört auch anzuerkennen, dass die Situationen und Erwartungen der Betroffenen sehr unterschiedlich sind. Es dann richtig zu machen, ist extrem schwer. Auf jeden Fall habe ich das Gefühl, wir haben es nicht immer richtig gemacht.

An welchen Stellen?

Bedford-Strohm: Wir haben verkannt, dass die von uns eingesetzten Unabhängigen Kommissionen, die erlittenes Unrecht anerkennen und dazu auch entsprechende finanzielle Leistungen auszahlen, mit anderen Strukturen ergänzt werden müssen, die die institutionelle Aufarbeitung stärker in den Blick nehmen. Manche der Betroffenen hatten trotz aller ehrlichen Bemühungen nicht das Vertrauen, dass die Kirche energisch aufklärt. Wenn wir ihr Vertrauen nicht haben und auch nicht gewinnen können, müssen wir Hilfe von Menschen von außen annehmen. Das haben wir gelernt. Und bereits Konsequenzen daraus gezogen. Wir sind jedenfalls bereit, alles offenzulegen, was rechtlich offengelegt werden kann. Niemand hat ein Interesse an Vertuschung. Im Gegenteil: Wir wollen selbst über diese schrecklichen Dinge in unserer Kirche Bescheid wissen.

Braucht die Kirche also einen unabhängigen Missbrauchsbeauftragten?

Bedford Strohm: Ich glaube nicht, dass es an einer Person hängt. Wir haben einen Beauftragtenrat, Bischöfinnen und Bischöfe, die dem Thema viel Zeit widmen. Dazu kommt eine Fachstelle auf Ebene der EKD und eine große Anzahl an Kolleginnen und Kollegen in den Landeskirchen und in der Diakonie, die Prävention und Aufarbeitung vorantreiben. Mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs arbeiten wir seit langem eng zusammen.

Wäre es vielleicht besser gewesen, das Thema zur Chefsache, also zum Thema des Ratsvorsitzenden zu machen?

Bedford-Strohm: Es war immer Chefsache. Ich habe die Beratungen als Ratsvorsitzender intensiv begleitet. Der Rat der EKD hat beschlossen, den Beauftragtenrat zu gründen und die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, die bereits besondere Erfahrung in der Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in ihrer Landeskirche hatte, gebeten, erste Sprecherin des Gremiums zu sein. Wir haben die ganze Zeit eng kommuniziert.

Die Studie in der katholischen Kirche hat ergeben, dass unter anderem das Machtgefälle in der kirchlichen Hierarchie eine Ursache für Missbrauch sein kann. Blicken Sie heute auch anders auf Ämter in der evangelischen Kirche?

Bedford-Strohm: Ich glaube nicht, dass das Hauptproblem in der evangelischen Kirche bei der Ämterfrage liegt. Nach ersten Erkenntnissen war bei uns eher eine Art Kumpelkultur problematisch. Dadurch wurden Grenzen nicht gewahrt und sexualisierte Gewalt ermöglicht. Das wollen wir durch die von uns initiierte Aufarbeitungsstudie noch genauer analysieren. Der Zusammenhang von Macht und Gewalt wird aber auch Thema auf der kommenden Synodentagung sein.

Im Frühjahr wurde der von der EKD als Gegenüber zum Beauftragtenrat eingesetzte Betroffenenbeirat aufgelöst. Wie geht es mit der versprochenen Betroffenenbeteiligung bei der Aufarbeitung weiter?

Bedford-Strohm: Der Betroffenenbeirat wurde nicht aufgelöst, sondern musste leider ausgesetzt werden. Im Rahmen einer externen Expertise zur Neuausrichtung der Betroffenenpartizipation soll nun zusammen mit den Mitgliedern des Beirats eine bessere Struktur gefunden werden. In der Zwischenzeit bieten wir den Beiratsmitgliedern an, einzeln oder in Gruppen, durch Stellungnahmen ihre Perspektive in laufende Entscheidungsprozesse oder auch die Synode einzubringen. Ich freue mich sehr darüber, dass uns auf diese Weise Mitglieder des Betroffenenbeirats auch aktuell mit ihren Erfahrungen unterstützen.