Nach seinen Angaben sind die Anfragen bei kirchlichen Beratungsstellen, etwa der Chatseelsorge in der Pandemie um 70 Prozent gestiegen. Die Pandemie vertiefe zudem die soziale Kluft, sagte Bedford-Strohm. Unter Berücksichtigung dieser Folgen sprach sich der Theologe für die Modellprojekte für Lockerungen mit Hilfe von Schnelltests aus, wie sie derzeit einzelne Länder und Landkreise planen. Die Möglichkeiten für Öffnungen müssten genutzt werden, sagte er, ergänzte aber auch, dass die Menschen weiterhin die Kraft aufbringen müssten, sich an Regeln wie Abstand und Maske zu halten.
Die Modellprojekte sorgen in der Politik derzeit für eine hitzige Diskussion. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte in der ARD-Sendung „Anne Will“ am Sonntagabend zu Vorsicht. Angesichts der steigenden Zahlen und der ansteckenderen Virusvariante B.1.1.7 sei derzeit nicht die Zeit für Öffnungen, sagte sie und forderte die Ministerpräsidenten auf, die vereinbarte Notbremse bei einer Inzidenz von mehr als 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen einer Woche zu ziehen, Öffnungen also auch wieder zurückzunehmen.
Bedford-Strohm sagte, er wünsche sich „Hörbereitschaft und Verständnis“ für die Situation vor Ort, aber „natürlich auch – da verstehe ich die Kanzlerin -, dass man die Verabredungen einhält“. Nach dem Kassieren des Beschlusses der sogenannten Osterruhe, der in der vergangenen Woche viel Kritik auch seitens der Kirchen hervorgerufen hatte, empfahl Bedford-Strohm einen baldigen erneuten Austausch der Regierungschefs und -chefinnen von Bund und Ländern, „der dann ermöglicht, dass die Runde mit einer gemeinsamen Position an die Öffentlichkeit gehen kann“. Das „Hü und Hott“ der vergangenen Woche koste Vertrauen. Es werde eine klare politische Botschaft gebraucht, sagte er.
Dabei zeigte der bayerische Landesbischof, der zugleich Spitzenrepräsentant der evangelischen Kirche mit ihren 20 Landeskirchen ist, Verständnis für das Ringen der unterschiedlichen Interessen. Vor der Sitzung der Kirchenkonferenz in der vergangenen Woche, in der es um Präsenzgottesdienste zu Ostern ging, habe auch er nicht gewusst, wie sich die Landeskirchen jeweils in der sehr schwierigen, nervösen Situation positionieren. Die Antwort sei am Ende einmütig gewesen, sagte er und verteidigte den Beschluss der Landeskirchen, Gemeinden selbst entscheiden zu lassen, ob sie Präsenz- oder digitale Gottesdienste anbieten.