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Das „System Billigfleisch“ muss überwunden werden – EKD


Nach dem massiven Corona-Ausbruch bei dem Schlachtbetrieb Tönnies in Nordrhein-Westfalen fordern Vertreter der Kirche die Politik zum Handeln auf. Die westfälische Präses Annette Kurschus hält eine neue gesellschaftliche Debatte über das Konsumverhalten sowie Dumpingpreise und Dumpinglöhne in der Fleischindustrie für nötig. Es dürfe auch nicht sein, dass bestimmte Menschen von vornherein an den Pranger gestellt würden, sagte sie zu Mutmaßungen, osteuropäische Werksarbeiter der Firma Tönnies hätten nach ihrem Heimaturlaub das Coronavirus eingeschleppt. Wir müssen zum Beispiel auch die Frage nach der Unterbringungssituation und nach Hygienestandards in den Sammelunterkünften stellen, so Kurschus, die auch stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende ist, in ihrer Erklärung.

Erste Opfer sind die Vertragsarbeiter

Die Politik müsse jetzt handeln, fordern das Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung/MÖWe und das Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW). Die ersten Opfer des Corona-Ausbruchs und des „Systems Billigfleisch“ seien die Vertragsarbeiter aus Osteuropa, die unter unwürdigen Bedingungen im Schlachthof arbeiten und leben müssen. Kirsten Potz, Regionalpfarrerin des Amtes für MÖWe im Kirchenkreis Gütersloh, fordert: „Das Subunternehmertum und die Ausbeutung der Werksvertragsarbeiter und -arbeiterinnen müssen abgeschafft werden! Wer die Augen vor diesen menschenunwürdigen Arbeits- und Wohnbedingungen nicht verschlossen hat, für den ist es ein Wunder, dass es erst jetzt zu einer Katastrophe gekommen ist, die hoffentlich alle aufrüttelt.“

Auch Landwirte und arme Länder gehören zu den Verlierern

„Auch die Landwirte leiden unter dem Corona-Ausbruch und dem System Billigfleisch. Die niedrigen Preise zwingen sie in eine Fleischproduktion, die vor allem Masse verlangt. Die extrem schwierige Situation, in der nun viele Landwirte wegen der Schließung von Tönnies sind, zeigt, dass wir eine Ernährungswende brauchen mit einer Tierhaltung und Landwirtschaft, die nachhaltiger und damit auch krisenfester ist und der bäuerlichen, familiengestützten Landwirtschaft ein sicheres Einkommen ermöglicht“, sagt  Volker Rotthauwe, Pfarrer für nachhaltige Entwicklung vom Institut für Kirche und Gesellschaft.
 
Francisco Mari, Agrarexperte des Hilfswerkes Brot für die Welt, ergänzt: „Dieses System der Fleischproduktion wird von einer Agrar- und Handelspolitik der Europäischen Union unterstützt, die arme Länder zwingt, deutsches Billigfleisch einzuführen. Das schadet seit Jahren Schweinemästern zum Beispiel in Südafrika oder Côte d’Ivoire.“ In den nächsten Jahren würden auch Millionen kleinbäuerliche Schweinehalter in Vietnam leiden, weil ein geplantes neues Handelsabkommen alle Schutzzölle für EU-Schweinefleisch abschaffen werde. „Zudem sind die niedrigen Exportpreise auch nur möglich, weil für die Fütterung Billig-Soja eingeführt wird und dafür Wälder in Brasilien und Paraguay gerodet werden.“
 
Katja Breyer, Beauftragte für den kirchlichen Entwicklungsdienst der EKvW, fordert, dass die Politik handeln müsse. Der öffentliche und politische Druck biete eine große Chance, aus dem „System Billigfleisch“ auszusteigen und zu einer nachhaltigen Landwirtschaft zu kommen. „Dafür sind Gesetze notwendig, die der Ausbeutung der Arbeiter und Arbeiterinnen in Schlachthöfen endlich einen Riegel vorschieben. Es braucht eine Agrarpolitik in der EU und Deutschland, die es Landwirten ermöglicht, nachhaltig Landwirtschaft zu betreiben und eine Handelspolitik, die Bauern in Entwicklungsländern nicht in den Ruin treibt. Ein entsprechendes Gesetz muss deutsche Unternehmen verpflichten, Menschenrechte und Umweltstandards auch entlang ihrer weltweiten Lieferketten zu achten.“

EKD/Evangelische Kirche von Westfalen